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Traveler - das Finale

Traveler - das Finale

Titel: Traveler - das Finale Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wilhelm-Goldmann-Verlag <München>
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unserer Welt existiert ein völlig anderes Gottesbild. Er ist eine große Macht, die alles weiß.«
    »Wir wissen über alles Bescheid, was sich in unserer Republik abspielt«, sagte Miss Holderness. »Der Computer zeichnet jeden negativen Gedanken und jedes Anzeichen für eine Rebellion auf.«
    Mr. Dash wirkte verärgert. »Wir sind ebenso mächtig wie die Götter. Auf unseren Befehl hin würde die eine Hälfte der Bevölkerung die andere Hälfte auslöschen.«
    »Aber Gott …« Michael zögerte, weil er nicht wusste, wie er es erklären sollte. Dachte er an Gott, sah er den weißbärtigen Mann an der Decke der Sixtinischen Kapelle vor sich. »Gott ist unsterblich.«
    Die drei Halbgötter sahen einander kurz an, und Michael spürte, dass der Tod hier ein heikles Thema war.
    »Unsere Macht hängt nicht von einem einzelnen Wesen ab«, sagte Mr. Westley. »Wenn einer von uns geht, wird aus den Reihen der Hirten ein neuer Gott berufen. Mr. Dash ist unser jüngster Zugang.«

    »Die Gläubigen bekommen uns nie direkt zu Gesicht«, erklärte Miss Holderness. »Manchmal bestrafen wir einen Bürger, obwohl er täglich gebetet und alle Regeln befolgt hat. Die Leute fürchten uns, weil unser Handeln unvorhersehbar ist.«
    »Aber Sie haben diese Welt nicht erschaffen«, widersprach Michael. »Sie können nicht …«
    »Selbstverständlich haben wir diese Welt erschaffen«, unterbrach ihn Miss Holderness. »Sie können jeden fragen, der hier lebt. Die Leute werden Ihnen sagen, dass wir die drei Sonnen in den Himmel gehängt haben und den Spark in den Wasserfeldern wachsen lassen.«
    Langsam wurde Mr. Dash wütend. »Ein Gott ist, wer angebetet wird. Sie mögen ein Traveler sein, von Religion scheinen Sie jedoch wenig zu verstehen.«
    »Es gibt keinen Grund zu streiten«, beschwichtigte ihn Mr. Westley. »Michael besucht unsere Sphäre zum ersten Mal und hat das System noch nicht begriffen.«
    »Sicher ist er müde und hungrig.« Miss Holderness wandte sich den anderen zu. »Wollen wir ihm nichts zu essen anbieten?«
    »Eine hervorragende Idee.« Mr. Westley zog eine schwarze Scheibe aus seiner Brusttasche und berührte ihren Rand. Direkt hinter Michael setzte ein Brummton ein. Als er sich umdrehte, sah er, dass sich einzelne Bodenplatten absenkten wie Falltüren. Dann wurde eine Metallplattform, auf der Möbel standen, langsam von unten heraufgeschoben.
    Die drei Halbgötter geleiteten Michael zu den Sesseln, die um einen Glastisch mit vollen Tellern angeordnet waren. Das Essen machte einen einfachen Eindruck und bestand aus rotem und grünem, in geometrische Formen zerschnittenen Gemüse. Alle setzten sich, und Mr. Dash machte sich daran, in einer goldenen Trinkschale Wasser mit einer blauen Flüssigkeit zu mischen.

    »Seit Anbeginn unserer Geschichtsschreibung haben Traveler uns besucht«, sagte Mr. Westley. »Einige davon waren nur kurz zu Gast. Andere, wie zum Beispiel der Athener Platon, blieben länger und lernten von uns.«
    »Ursprünglich war unsere Gesellschaft in drei Klassen unterteilt: Bauern, Soldaten und Herrscher«, sagte Miss Holderness. »An einem bestimmten Punkt führten unsere Vorfahren die Mythen ein, um das System zu legitimieren und zu stabilisieren. Der erste Mythos besagt, dass es für die Dreiteilung einen wichtigen Grund gibt. Die treuen Diener bilden die Arme und Beine der Republik. Die Streiter sind das Herz, die Hirten der Kopf.«
    »Dieselbe Geschichte hat mir ein Diener im Wasserfeld erzählt«, sagte Michael.
    Miss Holderness wirkte zufrieden. »Außerdem haben sich unsere Vorfahren eine wundervolle Geschichte erdacht, in der alle Menschen in einer Höhle gefangen sind und Schatten an der Wand betrachten. Nur wir Götter sind befähigt, die Höhle zu verlassen und unmittelbar ins Licht zu sehen.«
    »Dieser Mythos rechtfertigt unseren Status«, erklärte Mr. Westley. »Die größte Gefahr für die Stabilität unseres Systems stellen Menschen dar, die frei denken und handeln. Legt man eine Hierarchie des Bewusstseins fest, kann man die Wahrnehmung jedes Einzelnen als Dummheit abtun – oder als Blasphemie.«
    »Die Hingerichteten wurden als Ketzer bezeichnet.«
    »Nichts bedroht die Gesellschaft mehr als der perverse Impuls, frei zu sein. Der Wunsch nach Freiheit lässt sich mit Strafen und Drohungen allein nicht kontrollieren; noch effektiver ist es, die Leute dahingehend zu erziehen, ihre eigene Wahrnehmung infrage zu stellen. Funktioniert das System einwandfrei, zensieren sie sich ganz

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