Traveler - das Finale
denen jedes unterschiedlich warm war. Das erste war so heiß, dass Hollis’ Finger und Zehen zu kribbeln begannen. Das Wasser roch leicht nach Schwefel und hatte die Farbe von verdünntem Tee. Nach einer Weile ignorierten die Badegäste den Ausländer und wandten sich wieder ihrem eigenen Bad zu. Bin ich hier in Sicherheit?, fragte Hollis sich . Keine Computer. Barzahlung. Er atmete den Wasserdampf ein und lehnte den Kopf an die gekachelte Wand.
Einige Stunden später verließ er den Onsen und besuchte ein Restaurant, in dem frisch zubereitetes Sushi auf einem Laufband vorüberzog. Nachdem Hollis sechs verschiedenfarbige Teller heruntergenommen und geleert hatte, hörte er plötzlich die ersten Takte von Beethovens Ode an die Freude . Das Handy des Buchhändlers klingelte.
»Wissen Sie, wer ich bin?«, fragte Kotani. Er klang immer noch verängstigt.
»Ja. Vielen Dank für den Anruf.«
»Ich schäme mich für mein feiges Benehmen heute Nachmittag. Aber ich war auf Ihren Besuch nicht vorbereitet.«
»Ich verstehe.«
»Gehen Sie heute Abend um zehn Uhr in eine Bar mit dem Namen Chill. Sie liegt im Golden-Gai-Viertel in der Nähe von Kabukichō …« Die Verbindung brach ab, während die kleinen Sushiteller weiter durch den Raum kreisten.
Kabukichō erwies sich als Rotlichtbezirk mit zahlreichen Peepshows, Strip-Clubs und Massagesalons. Von einem der Gebäude hing ein Plastikschild in der Form eines riesigen Kussmundes. Aus den Lautsprechern drangen flüsternde Frauenstimmen, und der Gehweg war mit Handzetteln übersät, die für einzelne Prostituierte warben. Hollis stellte überrascht fest, dass in der Gegend viele Jamaikaner als Werber oder Türsteher der verschiedensten Etablissements arbeiteten. Im pastellfarbigen Tropenanzug stolzierten sie über den Gehweg und sprachen die vorbeieilenden Geschäftsleute auf Japanisch an.
Vor einer Bar namens Passion Club stand ein hochgewachsener Jamaikaner mit leuchtender Glatze. »Hey, Bruder – woher kommst du?«
»Aus den Staaten.«
»Wirklich? Was machst du in Japan?«
»Ich will in einem Dojo Karate lernen.«
»Dann fang schon mal zu beten an, Bruder.« Der glatzköpfige Mann lachte laut. »Die Karatemeister werden dir in deinen schwarzen Arsch treten.«
»Ich bin in Form.«
»Pass auf dich auf. Schwarze haben es in Japan nicht leicht. Erledige, was immer du hier zu tun hast, und dann fahr wieder nach Hause.«
Nachdem er sich ein paar Mal verlaufen hatte, fand Hollis sich endlich im Golden Gai wieder, einem Gewirr aus engen,
von zweistöckigen, schäbigen Häusern gesäumten Gassen. Auf kleinster Fläche drängten sich hier mehr als zwanzig Bars. Über die Gassen waren Elektrokabel gespannt, so als werde das gesamte Viertel von einer einzigen Stromquelle versorgt. Keine der Bars hatte Fenster, und nur die wenigsten Betreiber hatten sich die Mühe gemacht, ein Schild auszuhängen. Hollis schlenderte durch die Straßen, bis er an einer grünen Tür in winzigen Lettern das Word CHILL entdeckte.
Er öffnete sie. Die Treppe dahinter war so steil, dass sie wie eine Holzleiter aussah. Auf Händen und Füßen kletterte er in den ersten Stock hinauf, trat durch einen roten Samtvorhang und stand mitten in einer Bar, die kaum größer war als sein altes Schlafzimmer in Los Angeles. Aus versteckten Lautsprechern dudelte Jazzmusik, und auf dem Regal im Rücken des Barkeepers standen Wodkaflaschen unterschiedlicher Marken.
Akihido Kotani saß an einem winzigen Tisch an der Wand. Er starrte eine Wodkaflasche an, die man in einen Eisblock eingefroren und dann in einen Messingzylinder gesteckt hatte. Der Zylinder hing in einem Metallgestell, und man brauchte ihn nur leicht zu kippen, um sich nachzuschenken.
Der Barkeeper warf dem Fremden einen feindseligen Blick zu, aber Hollis ignorierte ihn und setzte sich an Kotanis Tisch. »Guten Abend.«
»Ah, Sie haben es gefunden. Möchten Sie etwas trinken, Mr. Wilson? In dieser Bar ist der Sake warm und der Wodka stets kalt.«
»Sake klingt gut.«
Kotani bestellte beim Barkeeper und zog dann den Messingzylinder herunter, um sein Glas mit Wodka zu füllen.
»Sparrow kam oft in diese Bar, als sie noch Nirvana hieß. Früher brannte hier Weihrauch, jeden Tag von neun Uhr abends bis um drei in der Nacht, und dort drüben meditierte ein Zen-Meister.« Kotani zeigte zur gegenüberliegenden
Wand, an der nun ein Aquarium mit Tropenfischen stand. »Sparrow sagte, der Mönch habe immer für eine friedliche Atmosphäre
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