Traveler - das Finale
Gelände nur in Begleitung eines Kindes betreten. Wenn man die Fields verlässt und erwachsen wird, darf man nicht wieder zurück.«
Sie liefen durch die Guilford Street und erreichten den Mecklenburgh Square. Angeblich lebte der Nachtfalke in einem Studentenwohnheim an der Nordseite des Platzes. Sie stießen die Glastür auf und betraten eine Eingangshalle, in der sich offenbar seit fünfzig Jahren nichts verändert hatte. Um einen zerkratzten Holztisch mit Zeitungen saßen ausländische Studenten herum, während ein Angestellter die Post sortierte und Briefe in die nummerierten Fächer steckte.
Ein Hinweisschild forderte sie auf, sich am Empfangstresen anzumelden, aber niemand beachtete sie. Gabriel grinste Maya an und beschloss, sich als Student auszugeben. »Wie ist deine Deutschklausur gelaufen?«, fragte er.
»Geh einfach weiter«, flüsterte sie. Zusammen liefen sie durch einen langen Gang, von dem ein Raum mit Waschmaschinen und die Gemeinschaftsküche abgingen. Es roch nach Popcorn, und Maya erkannte eine Beethoven-Symphonie, die aus irgendeiner Anlage plärrte. Zimmer 008 lag am Ende des Flurs, und in dem Türschildhalter aus Messing steckte eine verschmierte Karte, auf die jemand den Namen ERIC VINSKY gekritzelt hatte.
Falls es sich um einen Hinterhalt handelte, würden hinter der Tür Söldner der Tabula warten. Maya ließ die Tennistasche sinken, bis sie direkt nach vorn zeigte. Sie bedeutete Gabriel durch eine Geste, er solle zurücktreten, bevor sie den Türknauf drehte. Die Tür war nicht abgeschlossen. Maya sammelte sich und machte sich auf einen Kampf bereit, dann stieß sie die Tür auf und sprang ins Zimmer.
Die Deckenlampe war ausgeschaltet und die Fenster mit Stoffbahnen verklebt. Das einzige Licht kam aus dem Badezimmer und von drei Computermonitoren, über die verschiedene Ansichten flimmerten: Ein Chat-Protokoll, die leuchtenden Zahlenreihen eines Programmiercodes, eine sich lautlos drehende Ballerina. Statt eines bewaffneten Söldners standen sie einem jungen Mann in einem Rollstuhl mit Elektroantrieb gegenüber. Er nahm die Hand von der Tastatur und legte sie an einen Hebel an der Armstütze, woraufhin der Rollstuhl sich um die eigene Achse drehte.
Der Mann litt offenbar an einer fortgeschrittenen Muskelschwäche. Sein Gesicht wirkte schlaff, seine Augenlider hingen herunter, und sein strähniges Haar reichte ihm bis auf die Schultern. Sein gekrümmter Körper bildete ein »S« – die Beine streckten sich in die eine, der Rumpf in die andere Richtung,
und nur mit Mühe gelang es ihm, den Kopf gerade zu halten.
»Kenne ich euch?«, fragte er.
Gabriel, der dicht hinter Maya stand, drückte die Tür zum Flur zu. »Bist du der Nachtfalke?«, fragte er.
»Nachtfalke?« Der junge Mann versuchte ein Lächeln, was eher wie eine Grimasse aussah. »Du meinst den Vogel? Er gehört zur Ordnung der Greifvögel und zur Familie der Falkenartigen, und die Unterfamilie heißt … lasst mich nachdenken … Chordeilinae.«
»Unser Freund Sebastian hat uns gesagt, wir könnten hier mit dem Nachtfalken sprechen.«
»Ich verstehe. Ihr gehört dem so genannten Widerstand an. Tja, ich bin wenig beeindruckt.«
»Wir sind darauf angewiesen, sichere Kommunikationswege im Internet zu finden. Ohne das ist es unmöglich, den weltweiten Widerstand zu organisieren.«
»Kannst du uns helfen?«, fragte Maya.
Der junge Mann ließ den Rollstuhl vor und zurück rollen wie ein Zappelphilipp. »Sebastian hat euch korrekte Informationen gegeben. Ihr habt die Ehre, dem legendären Nachtfalken gegenüberzustehen, dem Dämon des Internet.«
»Momentan sind unsere Feinde in der Lage, unsere verschlüsselten Botschaften abzufangen«, erklärte Gabriel. »Und sie benutzen neuerdings einen Quantencomputer.«
Der Nachtfalke neigte den Kopf. Er schien nachzudenken und klang auf einmal weniger sarkastisch: »Einen Quantencomputer? Wirklich? Falls das stimmt, kommen wir mit herkömmlichen Verschlüsselungsmethoden nicht weiter. Gewöhnliche Computer knacken einen Code, indem sie einen Brute-Force-Angriff starten und Sequenzen durchrechnen. Ein Quantencomputer wäre in der Lage, alle Alternativen gleichzeitig zu berechnen.«
»Mit anderen Worten: Sie können alles entschlüsseln, was
wir absenden?« Maya wandte sich Gabriel zu. »Dieser Ausflug ist die reinste Zeitverschwendung.«
»Er könnte reinste Zeitverschwendung sein, wenn ihr dem Nachtfalken gegenüber nicht etwas freundlicher auftretet.« Vinsky stützte sich
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