Traveler - das Finale
öffnete einen Schrank, nahm ein Hautdesinfektionsmittel und Verbandsmaterial heraus und fing an, die Wunde abzutupfen. »Tut das weh?«
»Ja.«
»Können Sie den Schmerz beschreiben?«
»Es brennt.«
Dr. Kamani reichte Maya ein Einmalthermometer, überprüfte ihren Puls und den Blutdruck. »Haben Sie die Antibiotika genommen, die ich Ihnen verschrieben habe?«
Es ärgerte Maya, von der Ärztin wie ein Kind behandelt zu werden. »Selbstverständlich habe ich meine Medizin genommen«, sagte sie, »ich bin nicht bescheuert.«
»Mrs. Strand, ich will Ihnen nur helfen.« Dr. Kamani warf einen Blick auf das Thermometer. »Temperatur und Blutdruck sind völlig normal.«
»Vernähen Sie es neu und geben Sie mir ein paar Pillen.«
»Die Naht ist vollkommen in Ordnung. Ich werde Ihnen ein stärkeres Antibiotikum verschreiben, aber das reicht vielleicht nicht aus. Sie hatten gesagt, Sie hätten sich die Verletzung bei einem Autounfall in Ägypten zugezogen?«
»Genau.«
Dr. Kamani holte sterile Watte und Pflasterstreifen aus dem Schrank. Sie besprühte die Wunde mit einer gelben Flüssigkeit und legte einen neuen Verband darüber. »Hatten Sie in Ägypten Kontakt zu einem kranken Tier oder irgendwelchen giftigen Chemikalien?«
»Nein.«
»Haben Sie illegale Substanzen eingenommen?«
Maya hätte am liebsten laut losgebrüllt, riss sich aber zusammen . Ein Bürger wird dich niemals verstehen . Hundertmal hatte ihr Vater ihr das gesagt, und in diesem Moment war es besonders zutreffend. Was sollte sie der Frau im weißen Kittel schon sagen? Ich war in einer Stadt, die von einem dunklen Fluss eingeschlossen ist. Die Wölfe wollten mich umbringen, aber ich habe sie erstochen und zerfetzt und verprügelt.
»Legen Sie einfach einen Verband an und sorgen Sie irgendwie dafür, dass die Wunde verheilt«, sagte sie. »Diesmal bezahle ich das Doppelte – in bar.«
Dr. Kamani zog die Handschuhe aus und machte sich Notizen auf ihrem Klemmbrett. »Na gut, dann frage ich nicht weiter. Aber bevor Sie die Klinik verlassen, müssen wir ein paar Untersuchungen durchführen.«
»Werden die Untersuchungsergebnisse auf einem Computer mit Internetzugang gespeichert?«
»Selbstverständlich.«
»Das kann ich nicht erlauben.«
Dr. Kamani machte ein überraschtes Gesicht, aber ihre Stimme klang ruhig und vernünftig. »Wenn Sie möchten, schreibe ich eine Notiz ans Labor. Dann landen die Testergebnisse in meinem Posteingang und werden nicht in die Datenbank eingelesen. Aber wenn ich das tue, wenn ich Ihretwegen gegen die Vorschriften verstoße, müssen Sie mir versprechen wiederzukommen.«
»Ich verspreche es.«
Dr. Kamani öffnete die Tür, hielt dann aber inne und schloss sie wieder. »Sie haben mir erzählt, Sie hätten einen Autounfall gehabt, aber ich glaube Ihnen nicht. Ihre Verletzung sieht wie eine Stichwunde aus, und Ihr Verhalten lässt auf eine schwere, dauerhafte Traumatisierung schließen. Möglicherweise wurden Sie vergewaltigt oder anderweitig misshandelt. Ich kann Ihnen nur empfehlen, sich zusätzlich zur medizinischen Versorgung in therapeutische Behandlung zu begeben.«
»Das kommt für uns nicht infrage!«
»Für uns ?«
»Meine Familie.«
Das Gesicht der Ärztin verriet Mitleid und Besorgnis. Maya wusste, ihr Vater hätte Dr. Kamanis Reaktion als Beleidigung aufgefasst, denn sie unterstellte Schwäche, und ein Harlequin war niemals schwach. Mother Blessing hätte sich aufgerichtet und die Ärztin geohrfeigt.
»Mrs. Strand, Sie haben Schmerzen …«
»Was passiert jetzt?«, knurrte Maya.
Dr. Kamani öffnete die Tür und trat in den Flur hinaus. »Sie warten hier. Die Krankenschwester wird Ihnen Blut abnehmen, und dann lassen Sie bitte eine Urinprobe hier.«
Nach der Untersuchung verließ Maya die Klinik und nahm die Abkürzung über den Spitalfields Market, um zur U-Bahn-Station an der Liverpool Street zu gelangen. Dieser Tage schossen im Osten Londons neue Wolkenkratzer und schicke Restaurants wie Pilze aus dem Boden, dabei war die Gegend jahrhundertelang nichts anderes gewesen als ein düsterer, übervölkerter Slum, in dem sich Außenseiter der Gesellschaft und neu angekommene Immigranten mischten. Hier war Mayas Vater seinem ersten Traveler begegnet, einem jüdischen Mystiker namens David Rodinsky, der auf dem Dachboden der Synagoge in der Princelet Street gewohnt hatte. Maya war Rodinsky als kleines Mädchen vorgestellt worden; ein seltsamer, gebeugter Mann von kleinem Wuchs, der zwanzig
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