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Traveler - Roman

Traveler - Roman

Titel: Traveler - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wilhelm-Goldmann-Verlag <München>
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Mauer, zog sich hinauf und landete in seinem von Unkraut überwucherten Garten. Ohne zu zögern, rannte er auf die Garage zu und trat die Seitentür ein. Seine italienische Moto Guzzi stand in der Mitte des Raums. Der riesige Motorblock, der schwarze Benzintank und die kurzen Renngriffe hatten ihn immer an einen wütenden Bullen erinnert, der auf seinen Torero wartet.
    Gabriel schlug mit der Faust auf den Knopf für den elektrischen Toröffner, sprang auf das Motorrad und trat auf den Kickstarter. Mit lautem Knirschen schob sich die metallene Garagentür nach oben. Sobald Gabriel freie Sicht auf die ersten Meter Straßenbelag hatte, gab er Gas.
    Drei Männer sprangen aus dem Lieferwagen und sprinteten auf ihn zu. Als Gabriel die Einfahrt hinunterraste, hob ein Mann mit einer blauen Jacke eine Waffe, die aussah wie ein Gewehr mit einer Granate am Lauf. Gabriel holperte über den Bürgersteig auf die Straße. Der Mann feuerte das Gewehr ab. Die Granate entpuppte sich als stabiler Plastiksack, der mit etwas Schwerem gefüllt war. Das Geschoss traf das Motorrad seitlich, und die Maschine geriet ins Schlingern.
    Nicht aufgeben, dachte Gabriel. Nicht langsamer werden. Er riss den Lenker nach links, fand das Gleichgewicht wieder und donnerte die Straße bis zum Ende des Blocks hinunter. Er warf einen Blick über die Schulter und sah, dass die drei Männer zum Wartungswagen zurückrannten.
    Gabriel legte sich tief in die Kurve. Vom Hinterrad der Guzzi spritzte Straßenschotter in die Luft. Er ließ die Kupplung los, und die plötzliche Beschleunigung zog ihn auf dem Sitz nach hinten. Sein Körper schien Teil der Maschine zu
werden, durchdrungen von ihrer Kraft. Er duckte sich und raste über eine rote Ampel.
     
    Gabriel blieb auf den Nebenstraßen und fuhr südwärts bis Compton, dann machte er kehrt. Gegen Mittag rollte er langsam an der Ecke Wilshire und Bundy vorbei, aber Michael war nirgends zu sehen. Gabriel lenkte sein Motorrad in Richtung Norden bis Santa Barbara, wo er die Nacht in einem heruntergekommenen Motel einige Meilen vom Strand entfernt verbrachte. Am nächsten Tag fuhr er wieder nach Los Angeles, aber Michael stand immer noch nicht an der Straßenecke.
    Gabriel besorgte sich ein paar Zeitungen und las jeden einzelnen Artikel. Die Schießerei in der Kleiderfabrik wurde nirgends erwähnt. Er wusste, dass Zeitungen und Fernsehreporter nur auf einer bestimmten Realitätsebene Bericht erstatteten. Was ihm gerade passierte, spielte sich auf einer anderen Ebene ab, wie in einem Paralleluniversum. Überall um ihn herum wuchsen Gesellschaften heran oder wurden zerstört, bildeten sich Traditionen heraus und wurden alte Regeln gebrochen. Die Bürger taten jedoch so, als fände das richtige Leben im Fernsehen statt.
    Den Rest des Tages fuhr er mit dem Motorrad herum. Nur einmal hielt er an, um zu tanken und Trinkwasser zu kaufen. Gabriel wusste, dass er sich ein Versteck suchen musste, doch eine nervöse Anspannung trieb ihn weiter. Als er müde wurde, zerfiel Los Angeles in Bruchstücke; einzelne Eindrücke, die durch nichts mehr miteinander verbunden waren. Abgestorbene Palmwedel in der Gosse. Ein riesiges Plastikhuhn. Ein Plakat, Suchanzeige für einen entlaufenen Hund. Überall Schilder: Gnadenlos reduziert! Jedes Angebot willkommen! Wir liefern garantiert! Ein alter Mann, der in einer Bibel las. Ein junges Mädchen, das ins Handy plapperte. Dann sprang die Ampel auf Grün, und Gabriel raste ins Nirgendwo davon.
    Er hatte in Los Angeles ein paar Frauen gekannt, aber seine
Beziehungen dauerten selten länger als einen oder zwei Monate. Sie wären nicht bereit gewesen, ihm zu helfen, wenn er vor ihrer Tür gestanden und um Unterschlupf gebeten hätte. Er kannte ein paar Leute, die das Fallschirmspringen liebten, andere fuhren schnelle Motorräder; aber die Freundschaft zu diesen Männern war nicht sonderlich eng. Um dem Raster zu entgehen, hatte er sich von allen Menschen außer seinem Bruder losgesagt.
    Während er auf dem Sunset Boulevard gen Osten fuhr, dachte er über Maggie Resnick nach. Sie war Anwältin, und er vertraute ihr. Sie würde wissen, was zu tun ist. Er bog vom Sunset ab und fuhr die gewundene Straße durch den Coldwater Canyon hinauf.
    Maggies Haus stand an einem steilen Abhang. Unten befand sich das Garagentor. Darüber hatte man zwei kleiner werdende Etagen aus Glas und Stahl, wie die Lagen einer Hochzeitstorte, aufeinander gesetzt. Es war beinahe Mitternacht, aber drinnen brannte noch Licht.

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