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Traveler - Roman

Traveler - Roman

Titel: Traveler - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wilhelm-Goldmann-Verlag <München>
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empor, fielen wieder zu Boden und wurden von dieser neuen Umgebung augenblicklich absorbiert.
    Als er sich wieder einmal umwandte, entdeckte er hinter sich einen dunklen Fleck. Es war sein eigener Schatten, der ihn auf dieser ziellosen Wanderung begleitete, aber er wirkte
anders als sonst, scharf konturiert und dreidimensional, so als wäre er in die Erde eingeprägt. War das der Weg fort von hier? War er schon von Anfang an dort gewesen? Gabriel schloss die Augen, ließ sich nach hinten fallen und wurde in den Durchgang gesogen.
     
    Atme, befahl er sich. Atme noch einmal. Gabriel kniete auf einer unbefestigten Straße mitten in einer Stadt. Vorsichtig stand er auf, denn er erwartete, dass der Boden in sich zusammenfallen und er selbst hinunterstürzen und in Luft, Wasser oder der kahlen Wüstenlandschaft landen werde. Er stampfte wie bei einem Wutanfall mit dem Fuß auf, aber diese neue Wirklichkeit wirkte stabil, machte keine Anzeichen, sich aufzulösen.
    Die Stadt erinnerte ihn an typische Schauplätze alter Western, an einen Ort, der von Cowboys, einem Sheriff und Tanzmädchen bevölkert war. Die Häuser waren zwei- oder dreigeschossig, mit Holzplatten oder Schindeln verkleidet. Hölzerne Gehwege säumten beide Straßenseiten, so als sollte verhindert werden, dass jemand mit schmutzigen Schuhen über die Türschwellen gelangte. Aber es gab weder Schlamm noch Regenpfützen noch sonst irgendwelches Wasser. Die wenigen Bäume an der Straße wirkten tot, ihre bräunlichen Blätter verdorrt.
    Gabriel zückte das Jadeschwert und hielt den Griff fest umklammert, als er den Gehsteig betrat. Er drehte am Knauf einer Tür – sie war nicht verriegelt – und ging in einen kleinen Friseurladen, in dem drei Stühle für Kunden standen. An den Wänden hingen Spiegel, und Gabriel starrte sein eigenes Gesicht und das Schwert in seiner Hand an. Er wirkte verängstigt, so als rechne er damit, jeden Moment überfallen zu werden. Verschwinde von hier. Beeil dich. Und dann war er wieder auf dem Gehsteig, sah auf den blauen Himmel und die absterbenden Bäume.

    Keine der Türen war abgeschlossen, und er durchsuchte ein Haus nach dem anderen. Seine Schuhe verursachten ein hohles Geräusch auf den Holzplanken des Gehsteigs. Er betrat ein Wäschegeschäft voller Stoffballen. Über dem Laden befand sich eine Wohnung. In der Küche standen eine Spüle mit Handpumpe und ein schmiedeeiserner Herd. Der Tisch war für drei Personen gedeckt, aber die Regale und der Eisschrank waren leer. In einem anderen Haus entdeckte er die Werkstatt eines Küfers mit Holzfässern in verschiedenen Stadien der Herstellung.
    Es gab in der Stadt nur zwei Straßen, die sich an einem Platz mit Bänken und einem steinernen Obelisken trafen. Statt einer Inschrift waren etliche geometrische Figuren in das Denkmal eingemeißelt, darunter ein Kreis, ein Dreieck und ein Pentagramm. Gabriel ging eine der Straßen entlang, bis die Stadt hinter ihm lag und er zu einem undurchdringlichen Wald aus toten Bäumen und Dornengebüsch kam. Er suchte eine Weile nach einem Pfad, gab dann auf und kehrte zum Platz zurück.
    »Hallo!«, rief er. »Ist da jemand?« Aber niemand antwortete. Er kam sich mit seinem gezückten Schwert jetzt wie ein Feigling vor und schob es zurück in die Scheide.
    Eines der Häuser nahe dem Platz besaß ein Kuppeldach und eine Eingangstür aus schwerem, an eisernen Scharnieren befestigtem dunklen Holz. Gabriel ging in das Haus hinein und stellte fest, dass es eine Kirche war, mit Bankreihen und Buntglasfenstern, die komplizierte geometrische Muster aufwiesen. An der Vorderseite des Saals stand ein Altar aus Holz.
    Die abwesenden Bewohner der Stadt hatten den Altar mit Rosen geschmückt, die verwelkt waren und die einstige Farbe der Blüten nur noch erahnen ließen. Zwischen den Blumen brannte eine schwarze Kerze. Die helle Flamme flackerte. Außer Gabriel war sie das Einzige im Raum, das sich bewegte.
    Er trat an den Altar und holte seufzend Luft. Die schwarze
Kerze kippte aus dem Messingständer, und ihre Flamme erfasste die trockenen Blätter und Blüten. Gabriel sah sich in dem Raum nach einer Flasche Wasser oder einem Eimer voller Sand um, nach irgendetwas, womit er das Feuer löschen konnte. Nichts. Als er sich wieder umdrehte, brannte bereits der ganze Altar.
    Gabriel lief nach draußen auf die Straße. Sein Mund stand offen, aber er gab keinen Laut von sich. Wohin könnte er fliehen? Gab es eine Möglichkeit, Schutz zu finden? Bemüht, seine

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