Traveler - Roman
Kommoden und Schränke. Er schaute unter Betten und betrachtete jeden Gegenstand aus mehreren Blickwinkeln. Vielleicht musste er an der richtigen Stelle stehen, um den Durchgang zu entdecken.
Als er zurück zur Straße ging, hatte die Luft sich etwas erwärmt. Die Stadt schien kurz vor der nächsten Feuersbrunst zu stehen. In Gabriel regte sich Wut auf die Unausweichlichkeit des Kreislaufs. Wieso konnte er das Geschehen nicht aufhalten? Er begann, ein Weihnachtslied zu pfeifen, und freute sich über den leisen Ton in der Stille. Er lief zur Kirche, riss die Tür auf und marschierte zu dem hölzernen Altar.
Die Kerze stand wieder hell leuchtend auf ihrem Messingständer da, so als wäre nichts geschehen. Gabriel leckte Daumen und Zeigefinger an, um die Flamme zu löschen. Er hatte den Docht schon fast berührt, als sich die Flamme ablöste und Gabriels Kopf wie ein gelber Schmetterling umflatterte. Dann ließ sie sich auf einem Rosenstengel nieder, der, verdorrt wie er war, sofort zu brennen begann. Gabriel versuchte, die Flamme durch einen Schlag mit der Hand zu ersticken, aber es stoben einige Funken auf und fielen auf den Altar.
Statt vor dem Feuer zu fliehen, setzte er sich auf eine der Bänke in der Mitte des Saals und beobachtete, wie sich die Zerstörung ausbreitete. War es möglich, dass er hier starb? Würde sich sein verbrannter Körper genau wie der Friseurstuhl und der Altar wieder erneuern? Er spürte die glühende Hitze, versuchte, sie zu ignorieren. Vielleicht war all dies nur ein Traum, ein Produkt seiner Phantasie.
Rauch war an die Decke gestiegen und zog nun in Richtung der halb geöffneten Tür. Als Gabriel sich erhob, um hinauszugehen, verwandelte sich der Altar in eine Feuersäule. Rauch gelangte in Gabriels Lungen. Er musste husten, blickte dann nach links und sah einen dreidimensionalen schwarzen Schatten auf einem der Buntglasfenster, der hin und her wogte wie ein bewegliches Stück Nacht. Gabriel zerrte eine der Bänke unter das Fenster. Er stellte sich darauf und zog sich zu dem schmalen Fenstersims empor.
Er zückte sein Schwert, stach auf den Schatten ein, und seine rechte Hand verschwand im Dunkeln. Spring , befahl er sich. Rette dich . Er stürzte sich in den Durchgang, wurde von der Finsternis angesogen.
Doch im letzten Moment blickte er noch einmal zurück – und sah Michael in der Kirchentür stehen.
FÜNFUNDVIERZIG
M aya fuhr in dem Lieferwagen, auf dessen Ladefläche sie Gabriels Motorrad versteckt hatte, Richtung Las Vegas. Zuerst sah sie Dutzende von Werbeschildern der Spielkasinos am Straßenrand, bis plötzlich am Horizont eine Ansammlung von Hochhäusern auftauchte. Sie fuhr an mehreren Motels am Stadtrand vorbei und entschied sich dann für die Frontier Lodge – zehn Zimmer, die alle wie Blockhütten eingerichtet waren. Die Armaturen in der Duschkabine wiesen grüne Flecken auf, und die Matratze war durchgelegen, doch Maya schlief zwölf Stunden lang, das Schwert griffbereit neben sich.
Sie wusste, dass es in den Kasinos Überwachungskameras gab, von denen ein Teil vermutlich an die Tabula-Computer angeschlossen war. Nach dem Aufstehen verabreichte sie sich mit den Chemikalien für ihre falschen Pässe Injektionen in die Lippen und die Haut unter den Augen. Als Folge davon wirkte sie übergewichtig und aufgequollen wie eine Frau mit einem Alkoholproblem.
Sie fuhr in ein Einkaufszentrum und besorgte sich billige, schrille Kleidung – eine Caprihose, ein pinkfarbenes T-Shirt, Sandalen – und betrat dann einen Laden, in dem eine ältere Frau in einem Cowgirlkostüm Schminke und Kunsthaarperücken verkaufte. Maya deutete auf eine blonde Perücke, die hinter dem Tresen auf einem Styroporkopf saß.
»Das ist unser champagnerblondes Modell, Schätzchen. Soll ich’s einpacken, oder wollen Sie’s gleich aufsetzen?«
»Gleich aufsetzen.«
Die Frau nickte beifällig. »Männer lieben diese Perücke. Sie werden sich vor Verehrern nicht retten können.«
Nun war Maya so weit. Sie fuhr die Hauptstraße entlang, bog bei dem nachgebauten Eiffelturm, der halb so groß wie das Original war, nach rechts ab und stellte den Wagen auf dem Parkplatz des Paris Las Vegas Hotel ab. Das Hotel war eine Disneyland-Version der Stadt der Lichter. Es gab einen kleinen Arc de Triomphe und Fassaden, die so bemalt waren, dass sie dem Äußeren des Louvre und der Pariser Oper ähnelten. Das Kasino im Erdgeschoss war ein riesiger Saal mit einer Kuppeldecke, deren dunkelblaues Schimmern
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