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Traveler - Roman

Traveler - Roman

Titel: Traveler - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wilhelm-Goldmann-Verlag <München>
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Angst unter Kontrolle zu halten, rannte er die Straße entlang, die an dem Wäschegeschäft und dem Friseurladen vorbeiführte. Als er den Stadtrand erreichte, blieb er stehen und starrte auf den Wald. Alle Bäume brannten, und dichter Rauch, der einer grauen Mauer glich, stieg in den Himmel empor.
    Eine Ascheflocke landete auf seiner Wange, und er wischte sie weg. Gabriel wusste, dass er nicht würde entkommen können, dennoch rannte er zurück zur Kirche. Qualm quoll durch die Ritzen der schweren Tür. Hinter den Buntglasfenstern leuchtete das Feuer. Im größten der Fenster tat sich ein Riss auf, der ständig größer wurde. Durch den Überdruck im Gebäude explodierten die Fenster. Ein Scherbenregen ergoss sich auf die Straße. Flammen loderten aus den Fensteröffnungen, und schwarzer Rauch streifte die weiße Kuppel.
    Er sprintete die Straße entlang zum anderen Ende der Stadt und wurde dort Zeuge, wie eine Kiefer explosionsartig in Flammen aufging. Mach kehrt, dachte er. Flieh. Aber inzwischen brannten alle Gebäude. Durch die starke Hitze entstand ein Wind, der Ascheflocken wie Laub in einem Herbststurm herumwirbeln ließ.
    Irgendwo in diesem Ort der Zerstörung gab es einen Fluchtweg, den dunklen Durchgang, der ihn zurück in die Welt der Menschen führen würde. Aber das Feuer hatte alle Schatten eliminiert, und die Rauchwolken verwandelten den
Tag in Nacht. Zu heiß, dachte er. Ich kriege keine Luft mehr. Er kehrte zum Platz zurück und ließ sich neben dem Obelisken auf die Knie sinken. Die Parkbänke und das trockene Gras brannten. Nichts wurde von den Flammen verschont. Gabriel legte die Arme schützend um den Kopf und rollte sich zusammen. Das Feuer umzingelte ihn und drang durch seine Haut.
     
    Und dann war es vorbei. Als Gabriel die Augen aufschlug, sah er, dass er von den verkohlten Überresten der Stadt und des Waldes umgeben war. Große Holzstücke glimmten immer noch, und Rauchfahnen stiegen in einen schiefergrauen Himmel empor.
    Gabriel verließ den Platz und ging langsam die Straße entlang. Die Kirche, die Küferei und das Wäschegeschäft mit der Wohnung im Obergeschoss waren zerstört. Am Stadtrand angekommen, betrachtete er den abgebrannten Wald. Die meisten Bäume waren umgekippt, aber einige standen noch und glichen schwarzen Strichmännchen mit verrenkten Armen.
    Er kehrte um, lief durch die von Asche bedeckten Straßen und erblickte plötzlich den hölzernen Pfosten eines Vordachs, der unversehrt in den Ruinen aufragte. Gabriel berührte ihn, strich mit den Händen über seine glatte Oberfläche. Wie war das möglich? Wie hatte der Pfosten das Feuer überstanden? Gabriel versuchte zu ergründen, was das zu bedeuten hatte, als sein Blick auf eine fünf Meter von ihm entfernte weiß verputzte Mauer fiel. Ein paar Minuten zuvor hatte die Mauer dort noch nicht gestanden – oder war er zu benommen gewesen, um sie zu bemerken? Er ging weiter und erkannte inmitten der Asche einen der Friseurstühle, der vollkommen intakt war. Er konnte ihn anfassen, den grünen Lederbezug und die Armlehnen mit den Händen erspüren.
    Er begriff, dass die Stadt in genau derselben Form wie zuvor auferstehen würde, nur um dann erneut zu verbrennen – ein Vorgang, der sich ewig wiederholen würde. Das war der Fluch
der Feuergrenze. Solange er den Durchgang nicht fand, war er in diesem endlosen Kreislauf aus Zerstörung und Auferstehung gefangen.
    Statt nach dem Schatten zu suchen, kehrte er auf den Platz zurück und lehnte sich gegen den Obelisken. Vor seinen Augen tauchten erst eine Haustür und dann ein Teil des Gehsteigs wieder auf. Die Stadt begann sich zu regenerieren und wuchs wie ein Lebewesen. Der Rauch verzog sich, der Himmel wurde blau, und die Asche schmolz im Sonnenlicht wie schmutziger Schnee. Alles war anders und doch genauso wie zuvor.
    Schließlich war die Erneuerung abgeschlossen. Gabriel befand sich abermals in einer Stadt mit leeren Zimmern und toten Bäumen. Erst in diesem Moment konnte er wieder denken. Zum Teufel mit den komplizierten Gedanken der Philosophen. Es gab nur zwei Formen des Seins: Stillstand oder Bewegung. Die Tabula beteten ein Ideal politischer und gesellschaftlicher Kontrolle an, die Illusion, alles werde immer gleich bleiben. Aber dies war die kalte Leere des Raums, nicht die Kraft des Lichts.
    Gabriel verließ den Obelisken und begann, nach dem Schatten Ausschau zu halten. So wie ein Polizist auf Spurensuche ging er in jedes einzelne Haus und überprüfte die leeren

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