Traveler - Roman
ist noch immer in der Zweiten Sphäre und sucht den Weg zurück. Ich kannte den Durchgang schon, habe ihm aber nicht verraten, wo er ist.«
»Eine weise Entscheidung«, sagte Nash.
»Wo ist der Talisman meines Bruders? Das japanische Schwert.«
Shepherd machte ein Gesicht, als hätte man ihn des Diebstahls bezichtigt. Er reichte Michael das Schwert, der es sofort auf die Brust seines Bruders legte.
»Wir können ihn nicht auf Dauer fixieren«, erklärte Richardson. »Er wird Hautgeschwüre bekommen, genau wie Patienten mit Rückenmarksverletzungen. Sein Muskeln werden verkümmern.«
General Nash schien über diesen Einwand verärgert zu
sein. »Das braucht Sie nicht zu kümmern, Herr Doktor. Er wird so lange unter strenger Kontrolle bleiben, bis wir einen Sinneswandel bei ihm erreicht haben.«
Am nächsten Morgen zog Richardson sich in das neurologische Labor im Keller der Bibliothek zurück. Man hatte ihm Zugang zu einem Schachspiel gewährt, das auf dem Rechner des Forschungszentrums installiert war. Er fand diese Partien faszinierend. Die schwarzen und weißen Figuren des Rechners waren kleine computeranimierte Gestalten mit Gesichtern, Armen und Beinen. Wenn sie sich nicht über das Schachbrett bewegten, machten die Läufer Dehnübungen, und die Springer bemühten sich, ihre Pferde im Zaum zu halten. Die gelangweilten Bauern gähnten, kratzten sich und dösten immer wieder kurz ein.
Nachdem sich Richardson daran gewöhnt hatte, dass die Schachfiguren lebenden Personen glichen, wechselte er zum so genannten zweiten interaktiven Level. Auf diesem Level beschimpften sich die Schachfiguren gegenseitig oder gaben Richardson Ratschläge. Wenn er einer Figur den Befehl zu einem unüberlegten Zug gab, beschwerte sie sich über seine Strategie, ehe sie sich murrend fügte. Auf dem dritten Level brauchte Richardson gar nichts mehr zu tun. Er konnte verfolgen, wie sich die Figuren von allein bewegten und ihre Gegner erschlugen oder erstachen.
»Fleißig bei der Arbeit, Herr Doktor?«
Richardson drehte sich um und sah Nathan Boone in der Tür stehen. »Ich spiele gerade ein bisschen Computerschach.«
»Sehr löblich.« Boone kam zum Labortisch. »Man sollte sich immer wieder intellektuellen Herausforderungen stellen. Das hält geistig fit.«
Boone nahm gegenüber von Richardson Platz. Hätte jemand zufällig einen Blick in den Raum geworfen, wäre seine
Vermutung gewesen, dass zwei Kollegen eine wissenschaftliche Frage erörterten.
»Wie geht es Ihnen, Herr Doktor? Wir haben uns ja schon eine Weile nicht mehr gesprochen.«
Dr. Richardson sah auf den Computermonitor. Die Schachfiguren der einen Farbe berieten über ihren nächsten Angriffszug. Richardson fragte sich, ob sie womöglich glaubten, echte Lebewesen zu sein. Vielleicht beteten sie, träumten und genossen ihre kleinen Siege, ohne sich darüber im Klaren zu sein, dass er die Kontrolle über sie ausübte.
»Ich … ich möchte zurück nach Hause.«
»Dafür haben wir Verständnis.« Boone schenkte ihm ein freundliches Lächeln. »Sie werden in absehbarer Zeit nach Yale zurückkehren können, aber vorläufig sind Sie ein unverzichtbarer Teil unseres Teams. Mir wurde berichtet, dass Sie gestern dabei waren, als Gabriel Corrigan eingeliefert wurde.«
»Ich habe ihn nur oberflächlich untersucht, mehr nicht. Er lebt noch.«
»Stimmt. Er ist hier, er lebt, und wir müssen ihn jetzt irgendwie in den Griff kriegen. Das ist ein einzigartiges Problem: Wie stellt man es an, einen Traveler einzusperren? Michael Corrigan zufolge kann ein Traveler nicht aus seinem Körper ausbrechen, wenn man ihn so fixiert, dass er vollkommen bewegungsunfähig ist. Aber das könnte zu physischen Schwierigkeiten führen.«
»Genau. Das habe ich bereits zu General Nash gesagt.«
Bonne beugte sich vor und drückte auf eine Taste von Richardsons Laptop. Das Schachspiel mitsamt den Figuren verschwand vom Bildschirm. »In den letzten fünf Jahren hat die Evergreen Foundation Forschungen über die neurologische Verarbeitung von Schmerzen finanziert. Wie Sie sicher wissen, ist der Schmerz ein ziemlich komplexes Phänomen.«
»Für das Schmerzempfinden sind etliche Gehirnregionen
zuständig, und es wird auf verschiedenen, parallel verlaufenden Nervenbahnen übermittelt«, erklärte Richardson. »Deshalb können wir auch dann noch auf eine Verletzung reagieren, wenn einzelne Gehirnregionen funktionsunfähig sind.«
»Das ist korrekt. Aber unsere Forschungen haben ergeben, dass es
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