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Treibgut - 11

Treibgut - 11

Titel: Treibgut - 11 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karl-Heinz Witzko
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schlimmer als die üblen Surgh dräute der verderbliche Fluß. Ein Vogel ließ sich vor ihm nieder, rot war sein Kleid, von schwarzem und gelbem Flaum seine Brust, scharfe Krallen hatte er. Er sprach: ›Wann ist ein Nest ein Nest?‹ So antwortete Rurech: ›Wenn es Geborgenheit bietet, doch so hoch ist kein Baum.‹ Der Vogel sprach: ›Darum baue es dort, wo die Welt endet, und in der Mitte der weinenden Fürstin, der Heiligen und des purpurnen Königs!‹ So erhob er sich und gab Rurech neuen Mut, und viel Zeit verging, bis die Kinder Rurechs ihn wiedertrafen.
    »Das ist wörtlich das, was die andere auch gesagt hat«, frohlockte der Spitzbärtige. »Wie du siehst, Bruder, hat sie uns nicht angelogen. Jetzt erklär uns, Frau, was das bedeutet!«
    Ishajid starrte ihn mit versteinertem Gesicht an und antwortete: »Ich weiß es nicht.«
    Scheïjian bekam das Geschehen um sich herum nur noch wie durch einen Schleier mit, da er, noch bevor Ishajid den gesamten Draijsch übersetzt hatte, im Geist den Text des Theaterstücks herzusagen begonnen hatte, das er in Kuslik gesehen hatte, nur um nichts von dem Gespräch mitzubekommen, nur um keinen Ansatz eines verräterischen Mienenspiels auf dem Gesicht zu zeigen. Leer sollte es sein, bar jeder Ahnung, ausdruckslos. Denn die Aussage des Textes war eindeutig, beängstigend eindeutig. Diese Unwissenden hätten alles wesentlich einfacher haben können, wären sie nur nach Maraskan gereist, fast jeder hätte ihnen die Worte dort erklären können! Warum hatten sie es nur nicht getan? Er überlegte, ob er jetzt versuchen sollte, die ganze Bande zu blenden, um unter dem Schutz des Zaubers zu entfliehen. Doch er hatte den Eindruck, irgend etwas fehlte noch. Abermals konnte er es nicht bestimmen – wie schon vor ein paar Tagen in Trontsand, als er über den Elfen nachgedacht hatte. Er beschloß, weiterhin zu warten.
    »Es war umsonst. Sie verstehen das Geschwätz auch nicht«, sagte Tommelian gedrückt. »Vielleicht war es doch nur Fiebergefasel.«
    »Du verdammtes Maulwurfshirn!« herrschte ihn der Verschleierte an. »Sieh sie dir an! Sie wissen es beide! Oh, aber sie werden es uns sagen! Wie gern sie es uns noch sagen werden! Außerdem brauchen wir sowieso nur einen von ihnen. Du da« – er deutete auf den Rattengesichtigen –, »wenn ich es dir sage, erschlägst du die Frau; ich bin ihr Sträuben leid.«
    »Ich tue nur, was Tommelian sagt«, erklärte der Angesprochene trotzig.
    »Tu es, Wenzlas!« sagte der Spitzbart niedergeschlagen, und der Rattengesichtige nickte gehorsam. Derweil ging der Verschleierte mit schwerem Schritt in den Nachbarraum, aus dem er gekommen war, und kehrte mit einer Rolle zurück, die er auf den Tisch warf. Es mußte die Karte sein, die Xanjida aus dem Kloster in Salza mitgenommen hatte.
    »Warum seid ihr so versessen darauf?« fragte Ishajid, während er sie entrollte. Man konnte dabei sehen, daß er Handschuhe trug.
    »Wenn ihr uns ziehen laßt«, sprach sie weiter, »werden wir uns dafür einsetzen, daß man auch euch dort aufnehmen wird.«
    Scheïjian bezweifelte, daß sie es ernst meinte, und der Vermummte schien seine Ansicht zu teilen.
    »Was hätten wir davon?« gab er verächtlich zurück. »Wir können diesen Ort ganz für uns allein haben, ohne ihn teilen zu müssen. Dort werden wir sicher abwarten, bis alles vorüber ist. Ich bin nicht hartherzig, ich werde jeden aufnehmen, der mich bezahlt und willig ist, mir zu folgen. Und wenn das Chaos, worin immer es bestehen mag, vorbei ist, wird eine neue Ordnung entstehen. Diese Ordnung wird meine Ordnung sein!«
    »Unsere, Bruder«, brachte sich Tommelian in Erinnerung.
    »Sicherlich, Brüderchen, unsere und die deiner Leute«, stimmte der Verschleierte zu. »Wir werden alle sein wie Fürsten, wie Könige!«
    »Was ihr vorhabt, wird euch kein Glück bringen!« warf Scheïjian ein.
    »Ach ja?«
    »Dieses Land haben die Heiligen Rollen unserem Volk zugedacht. Schon vor Jahrhunderten wurde es so niedergeschrieben. Glaubst du, du könntest etwas daran ändern? Die Diener Rurs werden das nicht zulassen.« Es war nur ein Versuch ins Blaue hinein, und Scheïjian wußte selbst nicht, ob er auch nur den geringsten Sinn ergab. Wer kannte schon die Pläne der Götter?
    »Euer Volk interessiert mich keinen Kreuzer. So viele werden sterben, daß ein paar mehr auch nicht ins Gewicht fallen. Und was eure Götter anbelangt, wen kümmern schon eure Zwitter?« antwortete Tommelians Bruder hämisch. Seine

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