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Treibgut - 11

Treibgut - 11

Titel: Treibgut - 11 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karl-Heinz Witzko
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Starren des Mädchens, das an seinen Nerven zerrte, richtete sich kurz auf, um seinen verkrampften Muskeln etwas Linderung zu verschaffen.
    »Junger Herr Diago, wenn du nicht aufhörst, deine Tafeln mit Bildern zu bekritzeln, werde ich es deinem Vater sagen.«
    Der Junge sah ihn flüchtig an: »Dann sage ich ihm, daß du manchmal anders gehst, als es Mutter befohlen hat. Dann wird er dich schlagen lassen.«
    »Aber er wird mich auch schlagen lassen, wenn ich dir das Schreiben nicht beibringe«, erklärte Liva.
    Der Junge beugte sich wieder über seine Tafel und malte weiter. Was kümmerte es ihn, was mit diesem lästigen Sklaven geschah?
    »Wie willst du jemals den Besitz deiner Familie verwalten können, wie willst du jemals ein Herr sein können, wenn du nicht schreiben kannst?« bohrte der Hauslehrer weiter.
    »Ich werde mir einen Sklaven kaufen, der schreiben kann.«
    »Aber wie willst du jemals wissen, daß dein Sklave auch das schreibt, was du ihn zu schreiben heißt?«
    »Was sollte er denn sonst schreiben?«
    »Stell dir vor, du diktierst ihm einen Brief, und er schreibt etwas ganz anderes, als du ihm diktiert hast. Er schreibt einfach das, was ihm gerade paßt.«
    Diago starrte seinen Lehrer erstaunt an: »Ich werde ihn dafür auspeitschen lassen.«
    »Aber nur, wenn du es merkst. Wie willst du es denn merken, wenn du weder schreiben noch lesen kannst?«
    Der Junge dachte kurz nach, dann erklärte er mit triumphierender Stimme: »Ich kaufe mir einen zweiten Sklaven, der auf den anderen aufpaßt.«
    »Und wenn sich die beiden absprechen?«
    Diese Frage traf den Jungen wie eine Ohrfeige. Sklaven, die sich zusammentaten und gegen ihren Herrn absprachen, das war fast so schlimm wie Götterlästerung!
    »Ich werde beide in die Arena schicken! Oder ich lasse sie an Pfählen im Hanfla anbinden, damit die Krokodile sie fressen!« erklärte er empört.
    »Dann hast du keinen Sklaven mehr, der für dich liest und schreibt.«
    »Dann eben nur einen von beiden.«
    »Dann sind wir wieder am Anfang, und der Kreis hat sich geschlossen«, erklärte der Lehrer trocken.
    Diago wußte daraufhin nichts mehr zu sagen, und wenigstens für einige Tage bemühte er sich, den Anweisungen des Lehrers zu folgen.
     
    Der Neue war bei den anderen Sklaven nicht sehr beliebt. Zum einen, weil seinetwegen Galiner mit ihren stets plärrenden Neugeborenen ins Hauptgebäude des Sklavenquartiers zurückgekehrt war, zum anderen, weil er ihre Gesellschaft zu meiden schien. Er klatschte nicht, begann nie von selbst zu reden und bezog auch nie Partei, wenn es darum ging, jemanden zu verspotten oder zu hänseln. Sprach man über ihn, so ging er entweder einfach davon oder gab eine kurze scharfzüngige Antwort. Er galt als eingebildet und hochnäsig. Und selbst Nestorios Sticheleien, der ihn gern ›Alterchen‹ nannte oder ihn mit boshaftem Vergnügen daran erinnerte, was die Herrin befohlen hatte, wenn er einmal nicht krumm und gebeugt ging oder stand, schienen an ihm abzugleiten. Er tat immer so, als hätte er nichts gehört, es sei denn, Nestorio ging ihn direkt an. Dann senkte er den Blick oder murmelte unterwürfige Worte. Schale Erfolge für Nestorio. Er war unzufrieden, denn diese Form der Unterwerfung kam ihm unehrlich vor. Zum Ausgleich schikanierte er die alte Shalima um so stärker. Tatsächlich war Liva froh, wenn er sich abends in seine Hütte zurückziehen, hinlegen und ausstrecken konnte, um seine verspannten und schmerzenden Muskeln zu lockern.
    Nur mit einem Menschen hatte er mehr Kontakt, mit Querinia nämlich, die gern zu ihm kam. Sie hatte das Gefühl, daß sie ihm etwas erzählen konnte, ohne daß er es gleich weitererzählte, daß er ihr zuhörte, ohne die erste Gelegenheit zu nutzen, über sich selbst zu reden, statt ihr zu lauschen, oder schlimmer noch, ihr mit seinem eigenen Gerede klarzumachen, wo sein Platz in der Sklavenhierarchie war und wo der ihrige, so wie etwa Curma es meist tat.
    »Erzähl mir von Neetha!« bat Querinia manchmal. Liva lächelte darauf stets und antwortete: »Ich habe dir doch alles erzählt, woran ich mich noch erinnere.«
    »Dann erfinde etwas!« bettelte sie, denn sie wollte mehr über diese rosafarbene Stadt wissen, wo es angeblich keine Sklaven gab. Und so spann Liva sein Garn, erzählte ihr von dem goldenen Drachen, der einen Edelstein in seinem Kopf trug, von dem tapferen Fürsten Daripher, der vor langer Zeit in Neetha geherrscht habe. Er erzählte ihr eine lustige Geschichte, in der der

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