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Treibgut - 11

Treibgut - 11

Titel: Treibgut - 11 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karl-Heinz Witzko
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bringen. Sie durchschritt den klimpernden Vorhang, schüttelte einige der Perlschnüre ab, die sich an ihr verfangen hatten, und schaute hinab in den Hof. Unten entdeckte sie Nestorio. Sie ging wieder zurück durch den Vorhang. Zwar hatte sie der Bonze schon seit zwei Tagen in Ruhe gelassen, seitdem er in Querinia und dem Hauslehrer neue Opfer gefunden hatte, aber sie wollte nichts riskieren, also nahm sie lieber den längeren Weg durch das Haus, in der Hoffnung, daß Nestorio, wenn sie endlich angekommen war, nicht mehr im Hofe wäre.
    Shalima war froh darüber, daß sie nicht mehr das Ziel von Nestorios Bosheit war, da sie nicht länger gewußt hätte, wie sie seine Quälereien noch weiter hätte ertragen sollen. Zwar tat es ihr um die Kleine ein wenig leid, aber einerseits war jeder einmal dran, das Opfer von Nestorios Willkür zu werden, andererseits – warum mußte sie sich auch mit diesem Burschen einlassen? Von Anfang an war doch abzusehen gewesen, daß sich der Bonze ihn über kurz oder lang vorknöpfen würde! So etwas roch man, und eine kluge Sklavin ging rechtzeitig auf Distanz. Was aber diesen Liva anbelangte, so war er ohnehin ein ungeselliger Mensch, und wenn es jemand verdient hatte, der Spielball des Bonzen zu werden, dann tat es ihr um ihn noch am wenigsten leid. Dem Bonzen sollte er widersprochen haben! Welch ein Tor! Aber so waren sie eben, die, welche nicht als Sklaven geboren worden waren. Sie machten immer Schwierigkeiten und trauerten ihrem einstmaligen Leben nach, anstatt sich zu fügen.
    Shalima hatte die Treppe erreicht und nahm langsam Stufe für Stufe, weil ihr das Wäschebündel die Sicht versperrte und sie seit geraumer Zeit Schwierigkeiten mit Treppen hatte. Sie fühlte sich unsicher auf den Stufen und fürchtete sich davor, zu stolpern oder versehentlich etwas umzustoßen.
    Auf dem ersten Treppenabsatz hielt Shalima inne und begutachtete stirnrunzelnd die große Vase mit Phexkätzchenzweigen. Sie wurden langsam welk, und es war Zeit, sie auszuwechseln, bevor Herr oder Herrin Anstoß daran nahmen.
    Von dem Absatz ging eine Tür ab, hinter der sie die Stimme Livas hörte. Sie drang aus dem Raum heraus, in dem er Diago und Thesares unterrichtete. Shalima schüttelte den Kopf. Was konnte ein Sklave schon die Herrschaften lehren, selbst wenn es die jungen Herrschaften waren? Die Welt war doch verkehrt! Richtig war, daß die Herrschaften den Sklaven sagten, was sie zu tun hatten, aber nicht umgekehrt, deshalb waren sie ja die Herrschaften! Eine Sklavin konnte vielleicht Amme der jungen Herrschaften sein – aber Lehrerin? Mißbilligend näherte sie sich der Tür, um zu lauschen, was dieser wortkarge Kerl wohl den Kindern beibrachte. Doch sie hörte nichts. Wie seltsam, gerade hatte sie doch noch …
    Die Tür wurde aufgerissen, und Liva trat heraus. Shalima erschrak so sehr, daß ihr Herz bis zum Hals pochte. Sie trat rasch einen Schritt zurück, merkte dabei, daß sie gegen etwas stieß, und noch im Umdrehen wußte sie, daß es nur die Vase sein konnte. Dann sah sie sie, langsam kippend. Unfähig, sich zu entscheiden, ob sie die Wäsche der Herrschaften fallen lassen sollte, um die Vase aufzufangen, oder nicht, entschied sie sich dafür, sowohl ihr Bündel festzuhalten als auch nach der Vase zu greifen. Sie trat einen Schritt vor, verfehlte die nächste Stufe und rollte polternd und krachend die Treppe hinab, bis sie auf dem nächsten Absatz zur Ruhe kam, umgeben von den Scherben der Vase, den welken Phexkätzchenzweigen und bedeckt mit der alten Bettwäsche und der gelben Bauschhose des Herrn.
    Sie hörte Lärm die Treppe herunterkommen. Sie hörte die hastigen Schritte Livas, die schnelleren Porquinas, die an ihm vorbeipreschte und sie unten laut kläffend umtanzte, sie hörte das erschrockene Geplärr der jungen Herrin Thesares vom anderen Ende der Treppe und den jungen Herrn Diago, der irgend etwas rief. Eine Tür knallte, weitere Schritte näherten sich, und eine zornige Stimme erklang, die nur dem Herrn gehören konnte. Wie peinlich ihr das alles war!
    Sie versuchte sich aufzurichten und stützte sich dabei auf die linke Hand. Ein stechender Schmerz schoß ihr von den Fingerspitzen den Arm hinauf bis in Schulter und Nacken; sie wimmerte vor Schmerz, und Tränen strömten ihr aus den Augen. Wie sollte sie mit diesem Arm aufstehen? Sie konnte doch nicht liegenbleiben zu Füßen des Herrn! Shalima wußte weder ein noch aus.
    »Diese Tölpel haben die gute Vase aus Unau zerschmissen«,

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