Treibgut - 11
Fürst eine ganze Räuberbande übertölpelte, eine gruselige von einem Widergänger, den Daripher von seinem Fluch befreite und endgültig in Borons Hallen schickte, schließlich eine blutrünstige und sonderbare, die davon handelte, wie der Fürst einst den Mordanschlägen eines Vasallen entkam und ihn nicht bestrafte, sondern ihm verzieh.
»Was ist aus dem Fürsten geworden?« wollte Querinia wissen.
»Er ist ertrunken«, behauptete Liva.
»Ist er nicht!« widersprach Querinia.
»Doch. Sonst würde er noch heute leben«, bestand Liva schmunzelnd auf seiner Behauptung.
Querinia war unzufrieden darüber. Sie wußte ja, daß Liva sich die ganze Geschichte ausgedacht hatte, und es machte ihr auch nichts aus, denn es war eine völlig andere Welt als die ihre, von der er erzählte, doch warum mußte der Fürst Daripher am Ende einfach ertrinken? Konnte die Geschichte nicht anders enden? Nachdem sie lange genug gedrängelt hatte, gab Liva endlich nach. »Ein paar Bauern behaupten, daß er noch lebt«, räumte er ein und sah so ernst aus, daß Querinia fast glaubte, es sei vielleicht doch keine erfundene Geschichte gewesen, aber dann verzog sich das bemalte Gesicht zu einem Lachen.
Am vierten Tag nach Livas Ankunft bat sie ihn: »Bring mir bei, wie man schreibt.«
Liva nahm einen Zweig und malte einige Zeichen in den Staub des Sklavenhofs. »Das kenne ich«, sagte sie, »das ist mein Name.« Liva wischte die Zeichen wieder aus und schrieb etwas Neues. Querinia betrachtete die vielen geschwungenen Zeichen, von denen sie kein einziges erkannte. Sie sahen eigentlich nicht aus wie etwas Geschriebenes, sondern eher wie eines der verflochtenen Muster auf den Kacheln an den Wänden der Arkaden.
»Was bedeutet es?« wollte sie wissen.
Liva zeigte auf die ersten Zeichen: »Das ist dein Name.«
»Aber ich weiß, wie man Querinia schreibt. Das ist anders.«
»Es ist kein Garethi, sondern Tulamidya. Ich habe es in Chorhop gelernt.«
»Es gibt dort noch eine andere Schrift?« rief das Mädchen erstaunt aus.
»Nicht nur dort«, meinte Liva, »es gibt viele Schriften, genauso viele, wie es Sprachen gibt. Doch man muß nicht alle beherrschen.«
»Aber was heißt es denn nun?«
Livas Finger fuhr an den Schriftzeichen entlang, dabei sprach er: »Querinias Augen sind wie Perlen auf dem Gewand der Nacht.« Wieder hörte das Mädchen das Rauschen der Brandung.
Während der Mittagsruhe des nächsten Tags lag Liva lang ausgestreckt im Sklavenhof und ließ sich von der Sonne bescheinen. Neben ihm saß Querinia und erzählte aufgebracht: »… dann hat er sie heute morgen wieder geschlagen, obwohl sie doch nichts dafür konnte.« Sie schwieg. Leise fuhr sie fort: »Heute nacht habe ich zum Herrn Boron gebetet, daß er ihn zu sich holen solle.«
Liva beschattete die Augen mit der Hand und sah zu ihr hoch: »Und du meinst, er wird es jetzt tun?«
»Wenn man ihn nur fest genug anfleht, vielleicht.«
Liva gab ein röchelndes Lachen von sich: »Wenn es nur um das Flehen ginge, dann würde vermutlich halb Al’Anfa morgen tot umfallen.«
»Aber vielleicht macht er doch bei Nestorio eine Ausnahme? Das kann doch nicht richtig sein, was er mit der armen Shalima tut … Ich wünschte, wir wären nicht hier, sondern in deinem Neetha, und es gäbe deinen Fürsten Daripher noch. Bestimmt würde er es dem Bonzen heimzahlen. Meinst du nicht?«
»Das ist schwer zu sagen. Der Fürst handelte einmal so, ein anderes Mal ganz anders.«
»Wie kann er einmal so und einmal anders handeln, wenn du ihn dir nur ausgedacht hast?« meinte Querinia empört.
»Vielleicht habe ich mir das ja gar nicht ausgedacht.«
Beide schwiegen. Dann ergriff Liva wieder das Wort: »Es soll Leute geben, die man bezahlt, damit sie jemanden zu Boron schicken.«
Ein Frösteln überlief Querinia, und sie sah, daß sich die Haare auf ihren Unterarmen aufgerichtet hatten. Fast unhörbar leise murmelte sie: »Die Hand Borons.«
»Zum Beispiel«, pflichtete Liva bei, »zum Beispiel die Hand Borons … Als ich noch ein Junge in Chorhop war, habe ich jemanden gesehen, von dem auch behauptet wurde, daß er derlei tue.« Er richtete sich auf und schaute Querinia ins Gesicht.
»Aber solche Leute wollen bezahlt sein, und du hast kein Geld, nicht wahr?«
Querinia überlegte, ob sie Liva gestehen sollte, daß sie im letzten halben Jahr fast einen ganzen Oreal zusammengestohlen hatte. Sie sah ihn an und schämte sich plötzlich, weil sie ihm doch bisher immer vertraut hatte.
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