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Treibgut - 11

Treibgut - 11

Titel: Treibgut - 11 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karl-Heinz Witzko
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die alte Sklavin, die das Gehörte nicht verstand.
    »Ja, frei«, sagte nun auch der Herr, und zum Zeichen, daß er es einst meinte, betröpfelte er ihren faltigen rechten Unterarm mit einer Tinktur, die nach überreifen Perainäpfeln roch, und wischte das Familienzeichen der Gordovanaz davon ab. Es wäre eigentlich Imeldes Aufgabe gewesen, aber ihr war es ein Graus, dieses alte Fleisch zu berühren. Man mußte die Freundlichkeit nicht gleich übertreiben.
    »Bist du nicht glücklich, Shahane?« fragte Imelde. »Du bist jetzt eine freie Bürgerin Al’Anfas. Ist das nicht schön?«
    »Ja«, antwortete Shalima tonlos, »ich bin glücklich und danke euch.«
    »Du kannst jetzt gehen«, sagte der Herr gnädig. »Wegen des Arms solltest du zum Perainetempel gehen, damit man ihn wieder richtet. Leb wohl, Shahane.«
    Shalima machte einen unbeholfenen Knicks und verließ das Haus. Sie ging nicht mehr zum Sklavenquartier, denn sie besaß dort nichts, sondern über den Herrschaftshof gleich zum Tor. Mehrmals blieb sie stehen, drehte sich um und schaute zurück zum Herrenhaus. Sie war jetzt frei. Sie verstand weder, warum die Herrschaften sie nicht mehr wollten, noch, was Sklaverei in Al’Anfa bedeutete: Nicht, daß man jemand anderem gehörte, sondern daß einem selbst nichts mehr gehörte, nicht einmal Haare, Nägel, Nase oder Augen. Jetzt, da es niemand mehr benötigte, hatte sie den ganzen Plunder ihrer selbst zurückbekommen: Sie war jetzt frei. Am Tor erklärte sie den beiden Beschützern, daß sie nun keine Sklavin mehr sei, sondern eine Bürgerin. Dann verließ sie das Anwesen, in dem sie mehr als sechzig Jahre gelebt hatte, und ging hinaus in die Straßen Al’Anfas, die sie seit fast zwei Jahrzehnten nicht mehr gesehen hatte.
     
    Als nächstes ließen sie Liva kommen. Demutsvoll warf er sich auf die Knie und krümmte sich so zusammen, daß er mit seinem Kopf fast den Boden berührte.
    »Du hast heute viel Schaden angerichtet«, sagte Marno ernst, »normalerweise verdientest du die Peitsche, aber wir haben beschlossen, Gnade walten zu lassen. Also erhältst du nur eine milde Strafe. Du wirst von nun an bei den anderen Sklaven schlafen. Laß es dir eine Warnung sein! Doch da ist noch etwas anderes …«
    Es klatschte neben Liva auf den Boden. Aus dem Augenwinkel heraus sah er ein ledriges Gebilde.
    »Mein Sohn«, erklärte Imelde, »hat mir berichtet, daß es dir bisweilen schwerfällt, dich an meine Anweisungen zu halten. Du wirst künftig dieses Kleidungsstück tragen, damit es leichter für dich wird. Steh auf und zieh es an.«
    Liva erhob sich und hob auf, was man ihm zugeworfen hatte. Es war eine Art Korsett, das vom Nacken bis über den halben Rücken reichte. Hinten war es mit Holzspeichen verstärkt, vorn wurde es mit Spangen geschlossen. Er zog sich unter den Augen der Herrschaften aus, dann das Korsett an und seine Bluse darüber. Er mußte sich nun nicht mehr selbst gebeugt halten, das Korsett würde es erzwingen. Liva konnte sich ausmalen, daß er es nach einiger Zeit nicht mehr benötigen würde, weil es dann seinen Rücken gänzlich in die gewünschte Form gepreßt hätte. Es mochte ihm dann allenfalls noch Schmerzen bereiten, gerade zu stehen.
    »Da ist noch etwas weiteres«, ergriff Marno wieder das Wort, »Diago hat uns von lästerlichen Reden berichtet. Du hättest von Sklaven erzählt, die sich zusammenschließen gegen ihre Herren. Was sagst du dazu?«
    »Ich meinte es nur zur Lehre und erlaubte mir, meinen einstigen Herrn Zordaphero zu zitieren. Er meinte damit die verruchte Schläue der kriegsgefangenen Novadi. Er sagte oft, daß man den Wüstenleuten nicht trauen dürfe und stets ein Auge auf sie haben müsse, was weise Worte sind.«
    »Auch wenn es Zordaphero sagte, such dir künftig andere Beispiele. Nun geh!«
    Gebeugt ging Liva rückwärts zur Tür.
    »Liva, willst du dich nicht bei mir bedanken?« forderte ihn Imelde auf.
    Liva verbeugte sich, soweit es ihm das Korsett ermöglichte. »Du bist gnädig zu mir.«
     
    Im Sklavenquartier herrschte helle Aufregung. Seltsame Dinge gingen vor: Shalima war freigelassen worden, während der Neue bestraft worden war! Liva sagte nichts dazu, sondern setzte sich stumm auf das Lager Shalimas, das künftig ihm gehören sollte. Später kam Querinia zu ihm. »Ist es schlimm?« fragte sie und meinte damit nicht das Korsett, von dem bisher keiner wußte, sondern den Entzug seiner Privilegien. Er legte ungerührt den Kopf in den Nacken. »Eigentlich nicht.«

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