Treibgut - 11
nicht vor dem Sklaven hatte zugeben wollen, hatte sie zustimmend genickt und ihn eindringlich beäugt: Wehe, dieses Geschöpf bildete sich jetzt ein, es habe ihr etwas Neues gesagt, etwas, was der Sklave wußte, seine Herrin aber nicht! Doch Livas Gesichtsausdruck war bar jeder Hoffart gewesen und ganz Demut, also hatte sie ihm gnädig erlaubt, zu besorgen, was er benötigte, und ihn angewiesen, dem Krämer aufzutragen, wegen der Bezahlung im Haus vorzusprechen, denn Münzen würde sie dem Sklaven natürlich nicht mitgeben.
So kam es, daß Liva zwei Tage, nachdem Shalima aus dem Besitz der Gordovanaz entlassen worden war, die Alte wiedersah. In der dritten Nachmittagsstunde hatte er erledigt, was es zu erledigen gab, und den Rückweg eingeschlagen. Schweißnaß und jeden Schatten ausnützend, zwängte er sich durch die vollen Straßen, deren weißgetünchte Häuser bis in Hüfthöhe mit schwarzen und grauen Spritzern besudelt waren. Teils rührten diese vom gewöhnlichen Schmutz der Straßen, teils von dem schwarzen Dreck und Schlamm, den der Regen von den Hängen des Visra über die Terrassen und Straßen der Stadt täglich hinunter ins Meer spülte.
Selbst im Frühjahr und besonders zu Mittag und in den frühen Nachmittagsstunden war Al’Anfa eine heiße Stadt, was weniger an seiner tief südlichen Lage als an dem schwarzen Untergrund lag, auf dem sie erbaut worden war. Dieser Boden schluckte jeden Strahl der Praiosscheibe gierig auf und erhitzte die Straßen wie einen Backofen. Doch bereits hier endet der Vergleich, denn dieser Backofen gab keinen Geruch von Spezereien von sich, sondern ein wüstes Nebeneinander von Blumenduft und Schweiß, Parfüm und dem süßlichen Geruch von Fäulnis.
Die Menschenmenge hatte Liva unter das Vordach eines Fleischerladens geschoben, von dem – als Verlockung gedacht – die enthäuteten Körper von toten Hunden und Affen herabhingen. Sie waren getrocknet und wiesen stellenweise noch Überreste schwarzen Blutes auf, vereinzelt wurden sie von dicken Fliegen mit haarigen, grünschwarz schimmernden Körpern umschwärmt. Livas Haut juckte, und als er sich kratzte, verwandelte sich die Schminke in ein wüstes Geschmier.
Gerade scheuchte er eine der fetten Fliegen weg, als sein Blick durch eine Lücke im Menschenstrom den Blick Shalimas kreuzte. Zuerst hatte er nur eine alte Frau gesehen, die sich auf der anderen Straßenseite unsicher von ihm wegbewegte. Sie stützte sich mit der einen Hand vorsichtig an einer Hauswand ab, ging einige Schritte, blieb stehen, ging weiter. Einer ihrer Arme hing von der Schulter herab, als gehöre er nicht zu ihrem Körper, ihre Kleidung war schmutzig und ihre Bluse am rechten Oberarm von gelblich-rotbrauner Schmiere verfärbt. Als hätte sie gemerkt, daß Liva in der Nähe war, wandte sie den Kopf und zeigte ihm ihr Gesicht; es war fahlgrau und von roten Fieberflecken bedeckt. Mit leerem Gesichtsausdruck schaute sie zu ihm herüber und durch ihn hindurch. Liva rief ihren Namen, aber sie reagierte nicht, obwohl sie ihn sicherlich gehört hatte. Die Lücke im Strom der Straße schloß sich wieder.
Liva verfluchte die alte Sklavin, denn offenbar hatte sie den Arm nicht behandeln lassen. Er hatte den Tod schon zuvor gesehen und wußte, daß sie bereits den halben Weg zu Boron zurückgelegt hatte. Unschlüssig verharrte er, wünschte der törichten Alten stumm den Tod – als wäre er ihr nicht ohnehin schon nahe gewesen. Dann, als er sich entschieden hatte, drängte er auf die Straße, um zur anderen Seite zu gelangen.
Mühsam kämpfte er sich vorwärts, als sich der Menschenstrom unerwartet teilte und ihn wieder fast zu seinem Ausgangspunkt zurückschwemmte, denn die Straße entlang kam eine Sänfte, getragen von vier kräftigen Mohas, die bis auf ihre blattgoldgeschmückten kurzen Lederschürzen nackt waren. Als die Trage vorbeigezogen war, hatte Liva Shalima aus den Augen verloren. Er suchte noch in den umliegenden Höfen und Seitengassen nach ihr, konnte sie aber nirgends mehr finden.
In einer dieser Seitengassen kam Liva bei einem Händler vorbei, der Waffen und Rüstungsteile feilbot. Ein runder Holzschild weckte seine Neugier: Unter einem rot aufgemalten Löwinnenkopf prangten in goldenen Buchstaben die Worte ›Für das Gute – gegen das Böse‹. Liva betrachtete den Schild eine Weile und wiederholte im Geist die naive Losung. Kurzentschlossen betrat er den Laden.
»Wessen Schild ist das?« sprach er die Händlerin an.
»Er gehörte
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