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Treibgut - 11

Treibgut - 11

Titel: Treibgut - 11 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karl-Heinz Witzko
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meiner Kindheit begegnete.
    Meine Mutter benimmt sich in diesen ersten Tagen so wie wahrscheinlich alle Mütter, wenn sie nicht gerade Imelde oder vielleicht auch Alara heißen. Will sagen, sie versucht nach Leibeskräften wettzumachen, was mir die Fremde offenbar zugefügt haben muß: Hunger, Durst und schlechte Schneider. Dabei muß sie wissen, daß ich nicht arm bin, jedenfalls verglichen mit einem Bauern, auch wenn ich zu Hause schlichtere Kleidung trage als gewöhnlich. Und selbst wenn auch sie in mir nur einen schlecht besoldeten Schreiberling sähe, so müßte ihr doch einleuchten, daß die Folianten, die ich gelegentlich mitbringe, allein des Einbandes wegen nicht ganz umsonst gewesen sein können, obwohl es ein paar davon doch waren – zumindest für mich, wenn auch nicht immer für ihren Vorbesitzer.
    Dann sind da noch meine beiden kleinen Brüder, meine drei großen Schwestern, meine zahlreichen Nichten und Neffen. Ich kann mich nicht erinnern (seitdem ich die Akademie in Tuzak verlassen habe, um mich fortan bei Meister Tarrad und anderen Privatlehrern weiter in den magischen Künsten unterweisen zu lassen), heimgekommen zu sein, ohne daß nicht zumindest eine meiner Schwestern dickbäuchig und gesegnet war. Tsa meint es gut mit uns, wir sind eine glückliche Familie, wir sind zahlreich. Obwohl es leider auch vorkommt, daß ich von meinen Geschäften heimkehre, zwar ein Menschlein sehe, das ich noch nicht kenne, dafür aber ein anderes vermisse. Doch so schuf Rur die Welt: Wir leben, wir sterben, wir werden wiedergeboren und leben erneut, bis der Weltendiskus einst sein Ziel erreicht und uns Gror, der gleichzeitig Rurs Bruder und Schwester ist, die Antworten auf die Vierundsechzig Fragen des Seins gibt.
    Alle diese Menschen wollen, daß ich mich ihnen widme, daß ich ihnen Fragen beantworte, die ich nicht immer beantworten kann.
    »Wo bist du gewesen, Onkel Sedu?« Onkel Sedu darf etwa in Al’Anfa gewesen sein, denn es gibt dort Flüchtlinge aus Maraskan, aber Onkel Sedu darf nicht in Boran gewesen sein, obwohl es auf der Insel liegt und zudem unsere Heilige Stadt ist. Aber Boran wird seit Jahrzehnten von den Kaiserlichen belagert, so daß ein kleiner Schreiberling dort nicht einfach ein- und ausgehen kann. Und Onkel Sedu kann seinem jungen Neffen wohl kaum auf die zwangsläufig folgende Frage – »Wie bist du dann doch hineingekommen?« – die Antwort geben: »Ich bin auf einen der Wachtürme am Wall geklettert, habe dort dummerweise zwei Wächter vorgefunden, denen ich daher einen jener kleinen Zaubertricks vorführen mußte, wie ihr sie immer von mir erbettelt. Nur daß sie danach nicht gelacht und gekreischt haben wie deine große Schwester oder sich in die Hose gemacht haben wie du, sondern auf den Weg zu ihrer Wiedergeburt machten, genauso wie der einzelne Garethjasöldner, den ich kurz danach traf, und dem ich zeigte, welch guten Stahl man in Tuzak schmiedet.« Derlei kann ich nicht erzählen, das Kind verstünde es nicht. Also war ich nie in Boran, der Heiligen, und erzähle etwas anderes. Ich bin mittlerweile sehr gut darin – kein Wunder, wir Maraskaner sind halbe Tulamiden, und Tulamiden sind geborene Erzähler.
    Was die Magie anbelangt, so hatte ich bei meiner Familie Glück, vielleicht deshalb, weil niemand ahnt, wie sehr ich tatsächlich in dieser Kunst bewandert bin. Ich habe andere getroffen, in denen die magische Kraft pulsierte, die aber mit Erwachen derselbigen aus Furcht vor ihrer Andersartigkeit förmlich aus ihrer Sippschaft ausgestoßen wurden und froh waren, wenn ein Kundiger ihre Talente erkannte und sie zu einer Akademie brachte. Viele von ihnen erinnern mich an einen entwurzelten Jiranstrauch in den Frühjahrshochwassern. Sie treiben dahin, sind blind für die Schönheit dieser Welt, die uns Rur geschenkt hat, und ihre einzige Heimat ist ihre Akademie oder die Gilde. Ich bin fest davon überzeugt, daß es sich bei vielen der verbittertsten Popanze der Weißen Schulen des Nordens so verhält. Es mag auch ihre Wut auf das Hexische erklären, sozusagen eine sympathetische Übertragung, um im Jargon meiner Zunft zu reden, oder etwas einfacher: ein verzweifelter Versuch, im nachhinein auf der richtigen Seite zu stehen. Ich habe nichts für Hexen übrig, doch auch nichts gegen sie. Ich hatte eine zur Liebsten und habe einer anderen zu einer Begegnung mit Bruder Boron und Schwester Tsa verholfen. Es scheint mir ein ausgeglichener Standpunkt.
    Daß meine Familie meine Besonderheit

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