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Treibgut - 11

Treibgut - 11

Titel: Treibgut - 11 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karl-Heinz Witzko
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Seither sind wir wieder bei der anfänglichen Frage angelangt: Sedu, wann gehst du den Kreis?
    Nach einigen Tagen hat man sich an meine Anwesenheit gewöhnt, so daß es mir bisweilen möglich ist, mich dorthin zurückzuziehen, wo ich meine Schriften aufbewahre. Dieses Verhalten wird geduldet, da meine Familie glaubt, ich hinge dann meinen zerbrochenen Träumen nach, ein Meister der magischen Kunst zu werden. Ich widerspreche ihnen nicht, nicht nur deshalb, weil ich nicht soviel Zeit habe.
    Ich hatte frühzeitig Kontakt mit borbaradianischer Magie. Man versteht darunter den Kanon der Sprüche, die auf den Bethanier selbst oder seine Epigonen zurückgehen. Einige dieser Sprüche sind sehr nützlich für meine Tätigkeit, auch wenn sie einen keinen Augenblick darüber im Zweifel lassen, wer ihre geistigen Väter und Mütter waren. Borbaradianische Magie bedeutet in erster Linie Macht und Grausamkeit. Nicht nur in der Art, wie sie wirkt, sondern auch so, wie man sie empfindet.
    Ein Beispiel: Da ich nie jenen Zauber erlernt habe, mit dem man das Schloß einer Tür überreden kann, sich zu öffnen, verwende ich dafür einen dieser borbaradianischen Zauber. Er wirkt so, daß ich das Material um das Schloß in seiner ganzen Stofflichkeit verändere, so daß es weich wird wie feuchter Lehm, gleichgültig, ob es aus Holz, Stein oder Metall besteht. Das spielt keine Rolle. Dann drücke ich die Finger in die Tür und reiße das Schloß heraus. So einfach sich das anhört – diese Substanz fühlt sich nicht an wie weicher Lehm, sondern immer noch wie festes Holz, Stein oder Metall, nur daß sie ihre Festigkeit nicht mehr beweisen kann. Sie muß dem Willen weichen, sie unterliegt bei diesem Kampf, sie hat keinen Bestand. Es gibt einem ein Gefühl unwiderstehlicher Macht, wenn selbst das härteste Holz sich beliebig zwischen Daumen und Zeigefinger zerquetschen läßt, so als gäbe es keine Beschränkungen mehr, als könne man die ganze Welt seinem Willen und seinen Wünschen unterwerfen.
    Man vergißt dabei völlig, was dieses Holz einmal war, vielleicht ein uralter Baum, zu dessen Krone man hochblickte, während man das sanfte grüne Schattenspiel des lichtdurchschienenen Laubes bewunderte. Es hat auch nichts damit zu tun, wie meine zweite Schwester, die eine begabte Schreinerin ist, mit Holz arbeitet. Gleich, ob sie zimmert, schnitzt oder drechselt, sie läßt sich bei ihrem Werkstück von der Maserung des Holzes leiten. Sie respektiert, wie es in den vielen Jahren seines Daseins als Baum gewachsen ist, und läßt ihm seinen Willen. Borbaradianische Magie kennt keinen Respekt, sondern nur den eigenen Willen. Sie unterjocht. Doch sie hat noch einen weiteren Aspekt, denn im Hintergrund lauert das Bedürfnis, diese Macht immer wieder zu beweisen. Ich kann mir vorstellen, daß ein ungefestigter Charakter so sehr von dieser Macht überwältigt werden kann, daß er zwanghaft Zauber um Zauber wirkt, bis er erschöpft oder (da borbaradianische Magie auch mit der eigenen Lebenskraft gewirkt werden kann) tot zusammenbricht.
    Dabei ist der erwähnte Zauber eher harmlos, ich kenne mächtigere, aber dieses Beispiel läßt recht gut erahnen, welch ein Geschöpf der Bethanier war.
    Von dort, wo ich meinen Studien nachgehe, ist es nicht mehr weit bis zum nächsten Dorf. Es sind etwa vier Stunden Wegs durch zwei längliche Täler in Richtung des Gebirges. Das zweite Tal ist mit einem hohen Farnwald bewachsen, wie man ihn im Süden Maraskans gelegentlich antrifft. Die einzelnen Wedel sind bis zu vier Schritt hoch, und etwas Vorsicht ist angebracht, da sich dort gelegentlich Maraskantaranteln aufhalten, die großen Spinnentiere meiner Heimat. Einmal habe ich eine gesehen, deren Leib sicherlich zwei Schritt maß. Sie sind außerordentlich giftig und völlig verrückt.
    Man muß wissen, daß ihre einzige Nahrung ein Pilz ist, den wegen seiner Giftigkeit jedes andere Lebewesen scheut. Marasken sind die einzigen Geschöpfe, die ihn als Speise suchen, und dennoch leben sie in der Einbildung, daß jede Kreatur, die zufällig des Weges kommt, nichts anderes im Sinn hat, als sich sogleich hungrig über dieses abscheuliche Gewächs herzumachen. Ich verstehe nicht, warum ihnen nicht Rur, oder wenigstens einer seiner Diener eröffnet hat, daß niemand, wirklich niemand, ihnen ihre Nahrung streitig machen wird. Diese Offenbarung würde viel Leben erhalten.
    In jenem Dorf lebt Sefirajida, meine unglückliche Jugendliebe, von der ich einst hoffte, sie werde mit

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