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Treibgut - 11

Treibgut - 11

Titel: Treibgut - 11 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karl-Heinz Witzko
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Angelegenheit, wenn er jemanden überaus elegant vom Leben zum Tod befördern konnte. Er nannte es den Augenblick der Wahrheit und höchsten Macht. Ich meine, man muß sich nicht so gebärden, als hätte man das Leben oder den Tod erfunden. Kein Maraske denkt so. Rur hat die Welt so eingerichtet, wie sie ist, und die Zwölfgeschwister damit betraut, in allen Bereichen über sie zu wachen. Man muß sich da nichts anmaßen.
    Ich gebe zu, daß es mir eine gewisse Befriedigung verschaffte, wegen dieses Mannes nach Thalusa gekommen zu sein. Allerdings ist das beinahe schon zaboronitisches Gedankentum. Das ist die wahre Versuchung.
    Da der Name bereits mehrfach fiel: Zaboron von Andalkan war der unfreiwillige Gründer und Vater der Bruderschaft. Ursprünglich Philosoph, prägte er die These von der Wandelbaren Schönheit der Welt. Stark vereinfacht bedeutet sie, daß es Personen und Einflüsse gibt, deren Existenz die Schönheit der Welt vermindert. Beseitigt man diese, so vermehrt sich die Schönheit wieder, was gut ist. Man ist geneigt, dem zuzustimmen, jedoch schuf Rur die Welt gleichzeitig einfach und komplex, was nie vergessen werden sollte. Zaboron verfing sich im Lauf der Jahre darin, immer großzügiger auszulegen, wer alles diese Schönheit verminderte. Seine Maßlosigkeit führte zu den Spaltungen innerhalb seiner Anhängerschaft, die Vatermord und gegenseitiges Abschlachten zur Folge hatte. Dieser Zustand dauerte über zwei Jahrzehnte, danach gab es keine Zaboroniten mehr, sondern nur noch die Bruderschaft. Doch das ist eine alte Geschichte, die mehr als zweihundert Jahre zurückliegt. Genug davon, so geht es bei mir zu Hause zu.
    Ich hielt mich mittlerweile fast einen Mond lang bei meiner Verwandtschaft auf und hatte, wenn es meine Pflichten als braver Sohn zuließen, viel Zeit mit Nachdenken verbracht über das, was ich bei Boromeo Wulweshjoden gefunden hatte: ein handtellergroßes Scheibchen aus schwarzem Metall, an der dicksten Stelle etwa einen Halbfinger messend, das Gewicht kaum mehr als zwanzig Unzen, mit in Garethi eingravierten Wortsilben, die für sich allein keinen Sinn ergaben. Ich schätzte den Wert meines Fundes auf mindestens sechstausend Dukaten auf dem freien Markt.
    Endurium ist ein eher seltenes, leicht magisches Metall, hervorragend geeignet zur Herstellung ritueller Gerätschaften und magischer Waffen. Meine Aussage über den ›freien Markt‹ ist dabei mit Vorsicht zu genießen, da es ihn eigentlich nicht gibt, schon gar nicht derzeit, nachdem die Rebellen des Haranydads die gesamte Ausbeute von mehr als einem Jahr aus der einzig bekannten Mine – natürlich im Besitz des Kaiserreiches – in den Ausläufern der Maraskankette geraubt und in den Rur-Gror-Tempel zu Tuzak gebracht haben. Will sagen, man sollte sich beim Handel mit Endurium davor hüten, von einem garethischen Agenten ertappt zu werden. Allerdings war dieses Stückchen Metall nicht für den Handel vorgesehen gewesen. Ich hatte keinen Zweifel daran, daß es sich bei ihm um den Kern eines der Disken handelte, welche Endijians Leute und die Priesterschaft für ihre Suche nach einer Freistatt vor Borbarad dem Bethanier gefertigt hatten. Ich wußte dies deshalb so genau, weil ich eine bescheidene Rolle bei der erfolgreichen Revolte unseres ehemaligen Kämmerers gegen den Willen des Zweiten Fingers – und damit der Bruderschaft – gespielt hatte.
    Wie der Alanfaner an diesen Kern gekommen sein mochte, war mir ebenso ein Rätsel wie die Bedeutung der Schriftzeichen. Es konnte eine mir unbekannte Sprache oder eine Geheimschrift sein. Sicherlich hätte ich nach meiner Rückkehr aus Al’Anfa gleich zu Endijian gehen können, falls er sich in Tuzak aufgehalten hätte, oder in den Tempel. Möglicherweise hätte man mir die Bedeutung der Zeichen verraten, es ist mir jedoch zur Gewohnheit geworden, möglichst erst die Gaben zu gebrauchen, die mir Schwester Hesinde so freigiebig in die Wiege gelegt hat, bevor ich frage. Übrigens auch etwas, das wir in der Bruderschaft gleich zu Beginn lernen: zu gehorchen, ohne blind zu werden. Es ist eine Lehre aus unseren zaboronitischen Wurzeln. In diesem Fall mußte ich jedoch einsehen, daß ich wieder einmal an meine Grenzen gestoßen war.
    Als ich von meinem Besuch bei Sefirajida ins Dorf zurückkam, ging es dort zu wie in einem Nest aufgescheuchter Aldec-Käfer. Der Mittelpunkt der Aufregung war das Haus meiner ältesten Schwester. Ich eilte im Laufschritt darauf zu, inständig hoffend, daß

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