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Treibgut - 11

Treibgut - 11

Titel: Treibgut - 11 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karl-Heinz Witzko
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einem bornischen Amtskollegen zu haben, den Scheïjian einst im Festumer Stadtteil Neu-Jergan getroffen hatte, brav, korrekt und nützlich, dem man nur mit den richtigen Worten erklären mußte, wie das Gefüge der Welt zusammengekittet war, damit er genau das tat, was man wirklich von ihm wollte, wie ein Schweißhund, dem man eine Spur zeigte.
    »Vielleicht hat einer eurer braven Kollegen den Schurken auch schon geschnappt«, deutete Scheïjian an, »und er sitzt bereits im Kerker.« Der Büttel versprach, dort nachzusehen, fragte, wo Scheïjian zur Klageerhebung erreichbar sei. Er antwortete, daß er morgen in einem umliegenden Dorf weile, dann aber zurückkehren werde, um alles zu klären. Der Büttel nickte erfreut, und Scheïjian war zufrieden, da der Alanfaner dadurch für mindestens einen weiteren Tag in sicherer Erreichbarkeit blieb.
    Sein nächstes Ziel war das Heim des Apothecarius. Das Haus stand dunkel in der Reihe der anderen Häuser, die in der Nacht wie eine Reihe abgebrochener Zähne wirkten, mit Fenstern, die eingefallenen Augen glichen. Er warf einen Stein gegen einen der Fensterläden, dann noch einen und ein paar weitere, bis ein zipfelbemütztes Haupt aus einer Fensteröffnung herauslugte.
    Der Apothecarius war zwar wenig erbaut von dem nächtlichen Besuch, doch seine Habsucht und die Hoffnung auf ein weiteres lohnendes Geschäft bewogen ihn, zu öffnen und Scheïjian einzulassen.
    »Was ist mit Eurer Nase geschehen?« fragte er.
    »Fragt nicht!« entgegnete Scheïjian und erklärte ihm, was er wollte.
    »Man kann sich offenbar nicht entscheiden, ob man halb Neetha vergiften oder gesundpflegen will«, bemerkte der Apotheker mißtrauisch. »Auch möchte man später noch in dieser Stadt wohnen?«
    »Man ist nur auf der Durchreise. Hat man denn da, was ich möchte?«
    »Man hätte gern. Manches ja, doch nicht alles. Kann man es denn bezahlen?«
    Scheïjian nickte. Diese Reise würde ihn noch ruinieren. Er ließ sich aufzählen, was der Apotheker von den Substanzen, die er benötigte, vorrätig hatte. Was die Heilkräuter betraf, so war er gut ausgestattet, nur die Skorpion- und Schlangengifte waren nicht genau jene, welche Scheïjian brauchte, dafür sah es mit den mineralischen Substanzen wieder besser aus. Er würde viel improvisieren und ersetzen müssen. Schließlich fragte er noch nach einem Mörser und einer einfachen Waage.
    »Man weiß offenbar, was man will«, meinte der Apotheker neugierig.
    »Weiß man. Aber man vergißt das gleich wieder«, mahnte Scheïjian.
    »Hat man schon getan«, antwortete sein Gegenüber und strich zufrieden die klingenden Münzen ein. Diese Nacht war sehr gewinnbringend für ihn gewesen.
     
    Dösend erwartete Scheïjian das Morgengrauen. Als die Sonnenscheibe genau zur Hälfte über den Horizont geklettert war, begann er sein Werk. Er besaß jetzt eine bunte Palette von Giften, mit der er die halbe Stadtwache Neethas zu Boron hätte befördern können, doch das war nicht seine Absicht. Er plante, die schwierigere Variante eines ohnehin schweren Zaubers zu wirken, für die schon mancher Spitzbube viel Gold gegeben hatte, um in der Sicherheit der Anonymität zu verschwinden, eines Zaubers, von dem bereits die Kenntnis von Teilen der Thesis ausreichte, das Instrumentarium der Obrigkeit kennenzulernen. Scheïjian beabsichtigte, sein eigenes Aussehen drastisch zu verändern und sich in eine andere Person zu verwandeln. Mangels der richtigen Paraphernalien, die alles erleichtert hätten, blieb ihm nur der Weg über ein gefährliches Gemisch von Drogen. Es galt, genauestens zu arbeiten, denn Unausgewogenheit würde ihm keinen anderen Körper schenken, sondern seine Seele für immer vom Stofflichen trennen.
    Sorgfältig zerschnippelte er Shurinknolle und Wirselkrautblätter, zerquetschte Einbeeren, vermischte sie mit Tulmadron, wägte, rührte und stampfte. Angestrengt bemühte er sich dabei, sich wieder den unbekannten Offizier zu vergegenwärtigen, den er beim Verlassen des Kerkers gesehen hatte. Dessen Gestalt wollte er annehmen. Er tröpfelte etwas vom Gift des Gelbschwanzskorpions in die Mixtur, rührte sie schaumig und überlegte, ob es wohl einen Spruch gebe, der eine beliebige Erinnerung vollständig zurückbrächte. Das wäre jetzt sehr nützlich gewesen. Vermutlich würde er dem Gebiet der Hellsichtmagie entstammen und hätte eine starke visuelle Komponente, die jedoch wegen der Peldik ausgeglichen werden müßte durch … Augenblick! War Erinnerung nur Sehen?

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