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Treibgut - 11

Treibgut - 11

Titel: Treibgut - 11 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karl-Heinz Witzko
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amöbenhaftes Etwas zu verwandeln. Sie müssen’s immer gleich übertreiben, diese Lakaien! dachte Scheïjian.
    Vor einer Tür blieb die Soldatin stehen und riß sie auf, ohne zu klopfen. Scheïjian winkte ihr weiter und trat ein. Sein vermeintliches Amtszimmer war jedoch nicht leer, wie er erwartet hatte, denn hinter einem wuchtigen Schreibtisch mit geschwungenen Beinen, voller Blütenschnitzereien und unter dem Adlerwappen an der Wand saß der krummrückige Sumudan Genannte und schlürfte genüßlich Wein aus einem Pokal. »Ich weiß, ich komme unerwartet, mein Bester!« begrüßte ihn Scheïjian, nahm den Umhang ab und warf ihn über einen Haken. Der Mann hinter dem Schreibtisch versprühte den Wein aus seinem Mund über die polierte Platte, schnellte hoch, starrte Scheïjian an, öffnete und schloß den Mund, ohne daß viel mehr als ein krähenhaftes Krächzen herauskam. Irgend etwas stimmt hier nicht! argwöhnte Scheïjian. Ich werde doch am Ende nicht vergessen haben, den Hosenlatz … Er schaute an sich hinunter und gefror innerlich schier zu einem Eiszapfen. Das war eindeutig nicht der Körper des Mannes, den der Zauber ihm hatte verschaffen sollen; genau betrachtet, war es nicht einmal der Körper irgendeines Mannes. Er hatte sich in eine Frau verwandelt. Dieses verfluchte Gebräu! dachte er und erwog, den Kerl kurzerhand niederzustechen, als jener sich unterwürfig auf die Knie fallen ließ. Scheïjian betrachtete ihn verwirrt. Dieser Zauber war zwar gründlich mißlungen, aber offenbar sahen Sumudan und gewiß auch die Soldatin zuvor in ihm jemanden, vor dem sie ungeheuren Respekt hatten. Auch nicht schlecht, fast besser, so schien es ihm, und er sprach: »Laßt das, und erhebt Euch. Ich bin hier in allerhöchstem Auftrag, man sandte mir allein darum einen dringlichen Boten.« Die Wirkung dieser wenigen Worte war durchschlagend. Aschgrau wurde der Mann, und hätte ihn Scheïjian nicht rasch am Arm gegriffen und gestützt, so wäre er geradewegs hingestürzt. Das wird immer seltsamer, dachte Scheïjian und sah Sumudan auf die Stelle seines Arm starren, wo er ihn gehalten hatte, so als hätte er diesen Auswuchs seines Körpers noch nie gesehen. Aus reiner Bosheit wiederholte der Magier: »Von allerhöchster Stelle, Ihr ahnt gar nicht wie hoch! So hoch!«
    Die Worte riefen ein deutliches Zittern bei dem stellvertretenden Kerkermeister hervor – und ein amüsiertes Lachen bei Scheïjian.
    »Wie viele Delinquenten habt Ihr hier derzeit?« erkundigte er sich.
    »Elf an der Zahl, acht Schuldner, ein Dieb, ein … ahäm … aufrührerischer Bauer und ein verwirrter Gassenstrolch«, kam pflichteifrig die Antwort.
    »Ihr führt mich dorthin!« befahl Scheïjian.
    Sumudan erhob sich und sagte demütig: »Euer Wunsch ist mein Leben!«
    »Mein Wunsch? Ihr übertreibt«, entgegnete Scheïjian sarkastisch. »So leicht geschieht’s nun auch wieder nicht!« Und er ließ sich hinab ins Kellergewölbe führen. In einer großen Zelle, nur durch dunkle Gitterstäbe abgetrennt, zählte er im grauen Licht, das durch die vergitterten schmalen Öffnungen fiel, zehn Insassen, ausgehungerte und verwahrloste Gestalten mit dünnen Ärmchen und eingefallenen Gesichtern; einer allerdings – der Glatzköpfige mit dem geflochtenen Bart – in weit besserem Zustand. Es stank nach Schweiß, Urin und Fäkalien.
    Einige der Gefangenen tuschelten, als sie Scheïjians ansichtig wurden, andere drängten sich bettelnd und bittend gegen die Stäbe, der Glatzköpfige verneigte sich gar in einer gezierten Verbeugung. Offensichtlich war er auch hier bestens bekannt! Allmählich wurde es ihm unheimlich. Es schien ihm an der Zeit, herauszufinden, für wen sie ihn allesamt hielten. Sein Finger stach in Richtung des Glatzköpfigen: »Wer ist das?«
    »Mit untertänigstem Verlaub, er ist der Aufrührer!«
    Scheïjian schnalzte mißbilligend mit der Zunge: »Ich will mit ihm persönlich sprechen!« Er winkte den Mann zum einen Zellenende.
    Nicht die Jahre hatten Scheïjians ehemaligem Lehrmeister die Haare geraubt, sondern er hatte sich den Schädel kahl rasiert. Seine dunklen Augen hatten viel von ihrer einstigen Eindringlichkeit verloren. Frieden und Ausgeglichenheit strahlten nunmehr aus ihnen. Aber die Zeit hatte ihre Furchen in dem Gesicht hinterlassen, davon sprachen die tiefen Linien zu beiden Seiten des Mundes.
    Natürlich hatte die Absonderung zum anderen Zellenende nur zur Folge, daß alle Anwesenden gespannt lauschten, was Scheïjian mit dem

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