Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Treibgut - 11

Treibgut - 11

Titel: Treibgut - 11 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karl-Heinz Witzko
Vom Netzwerk:
wußte, daß es im Licht des Tages fälscherlicherweise grau erscheinen würde, eine Wirkung, die durch schmalste Längsstreifen aus komplementären Farben erzeugt wurde. Es war das Gewand eines Wanderpriesters der Zwillinge.
    Als Scheïjian nahe genug heran war, fiel ihm auf, daß sein Retter eine Retterin war. Er hatte sie sogar schon einmal gesehen, diese vierzigjährige Frau mit den vielen Zöpfchen und den im Hellen tiefblauen Augen. Sie war die Priesterin, die er vor Wochen im Tempel zu Tuzak nach Milhibethjida gefragt hatte. Er beugte sich zu dem gefallenen zweiten Verfolger hinab. »Er ist bereits tot«, sagte die Priesterin.
    »Nur um sicherzugehen«, entgegnete Scheïjian. »Schau lieber weg, es ist keine schöne Arbeit.« Und er zerschnitt dem Mann mit seiner Klinge die Kehle. Er hatte recht, es war keine schöne Pflicht, denn die Waffe war schlecht dafür geeignet.
    »Wo ist der Dritte?« fragte Scheïjian danach.
    »Er lief zwei Nachtwächtern in die Arme. Sie haben den Schreienden niedergeknüppelt und mitgeschleppt.« Sie versetzte ihm einen Stoß. »Wir sollten uns ebenfalls davonmachen.«
    Auf einem Brunnenplatz wuschen sie sich die Spuren des Kampfes ab. »Das habe ich nicht mit der Hohen Schwester ausgemacht!« herrschte Scheïjian die Priesterin an. »Ich beschrieb ihr, wo ihr das Mädchen fändet, damit es in die Sicherheit des Tempels gebracht werde. Doch jetzt ist es tot!«
    »Woher weißt du das?« fragte die Frau.
    »Sie erzählten es mir, diese bruderlosen Hunde.«
    Beide schwiegen für einige Zeit.
    »Was hast du jetzt vor?« erkundigte sich die Priesterin.
    »Ich werde meinen Teil der Vereinbarung einhalten. Warum bist du hier?«
    »Die Hohe Schwester hat mich dir hinterhergeschickt. Sie dachte, du brauchtest Hilfe, da das Mädchen kurz nach deiner Abreise getötet wurde. Wer waren sie?«
    »Meuchlerpack aus Al’Anfa. Ich brauche deine Hilfe nicht.«
    »Das war ja eben zu sehen. Kanntest du das Mädchen länger?«
    »Nein«, antwortete Scheïjian, »eigentlich nicht. Sie hatte wunderschöne Augen …«
    »Ich weiß«, fiel ihm die Priesterin ins Wort, »ich habe sie ihr selbst geschlossen. Du handelst unklug, wenn du allein weiterreist.«
    »Ich habe nichts anderes mit Milhibethjida ausgemacht. Nur daran halte ich mich. Ich brauche dich nicht.«
    Nach einer Pause sprach er rhythmisch: »Wie Labsal ist mir ihr Anblick, wie eine Oase inmitten des Sands …«
    Es war ein Zitat aus einem alten Volkslied, das möglicherweise noch auf die Wanderschaft der Beni Rurech zurückging. Die Priesterin setzte es fort: »… darinnen zwei Seen wie Emeralde, grün wie Emeralde.«
    »Das Lied schien wie für sie geschrieben …«, seufzte er und preßte die Lippen zusammen. Die Priesterin nickte, er fuhr fort: »Wo lernt man eigentlich so treffsicher einen Diskus bei Nacht zu werfen?«
    Die Priesterin lächelte: »In der Gegend von Boran. Ishajid war nicht immer eine Dienerin der Zwillinge.«
    »Das glaube ich dir aufs Wort, es war ein famoser Wurf. Trotzdem will ich dich nicht bei mir haben.« Er erhob sich zum Gehen: »Preise die Schönheit, Schwester!«
    »Wir treffen uns wieder, Bruder«, antwortete sie.
    »Auch daran zweifle ich nicht, ich kann es dir nicht verwehren«, stimmte Scheïjian trocken zu und verließ den Platz.
     
    In seine Kammer zurückgekehrt, murmelte er vor sich hin: »Es ist eine schöne Welt, die Rur uns geschenkt hat, und es sind schöne Tage, auch wenn es mir jetzt nicht so scheint, weil ich es nicht verstehe. Sei gnädiger zu ihr, Schwester Tsa!« Dies waren seine Worte der Trauer, dann wandte er sich Dringlicherem zu. Zwei aus dem Trio waren tot, der dritte lebte noch, dürfte mittlerweile den Zauberbann abgeschüttelt haben und wußte also inzwischen, daß ein Magier und kein beliebiger Sklave Boromeo Wulweshjoden getötet hatte, wußte damit spätestens jetzt, daß jener nicht ein zufälliges Opfer bei der Ermordung Marnos gewesen war, sondern daß es von Anfang an um Boromeo gegangen war. So dicht, wie sie ihm auf den Fersen gefolgt waren, hatten sie offenbar das nächste Schiff von Tuzak genommen, irgendwo einen rascheren Anschluß bekommen und höchstwahrscheinlich zwischendurch keine Zeit gehabt, in Al’Anfa anzulegen, was bedeutete, daß der Kreis der Wissenden noch sehr klein war. Das würde sich ändern, wenn der Überlebende zurückkehrte, und eine unerwünschte Neugier wecken.
    Er wußte ärgerlicherweise zuwenig über den getöteten Boromeo. Wenn er wirklich so

Weitere Kostenlose Bücher