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Treibgut der Strudelsee

Treibgut der Strudelsee

Titel: Treibgut der Strudelsee Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Horst Hoffmann
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zur Vernunft bringen, wenn ich…« Jejed, der durch den Lärm herbeigelockt worden war, blickte über die Schulter. Der Seemagier stand wie versteinert vor dem Decksaufbau und blickte eisig. »Seid froh, dass ich noch anderes zu tun habe, aber euch nehme ich mir danach vor. Los, bringt sie unter Deck. Sie sollen den Alten und Kindern dabei helfen, die Ruderer zu verbinden.«
    »Nein!« schrie Sadagar in gut gespieltem Entsetzen. »Das nicht, Kapitän! Wir wollen auch…«
    »Mit Zirpe Bekanntschaft machen, ja?« Der Morone brachte den linken Zeigefinger gefährlich nahe an die rechte Armschiene. Zu seinen Männern sagte er: »Los, schafft sie mir aus den Augen!«
    Er drehte sich um und verschwand in seiner Unterkunft, ohne sich noch einmal umzublicken. Die Aufseher schwangen die Peitschen. »Ihr habt gehört, was er sagte. Dankt den Göttern, dass ihr überhaupt noch lebt!«
    Wie getretene Hunde ließen Sadagar und Chrandor sich abführen. Nur der Pirat sah, wie es kurz triumphierend in des Steinmanns Augen aufblitzte.
    *
    Die Nacht brach herein, jene Nacht, in der das Verhängnis seinen Anfang nahm. Schwere Wolken blies der stärker werdende Wind über das mächtige Schiff, das gleichsam ein Nichts in den Strömungen der Strudelsee war. Keine Sterne standen am Himmel, die Wegbegleiter der Seefahrer und einsamen Wanderer in hellen Nächten. Kein Licht von irgendeinem nahen Hafen durchbrach das Dunkel. Die See blieb ruhig, wenngleich jetzt höhere Wellen gegen die Planken schlugen. Weit und breit gab es keine lebende Seele außer jenen, die dicht gedrängt von der Gasihara nach Süden getragen wurden.
    Aber das Unheil braute sich finster über der Lichtfähre zusammen. Die Männer konnten es fühlen, und mancher unter ihnen begann, das Schiff zu verfluchen, das mehr und mehr zu einem schwimmenden Kerker wurde. Unter ihm war nur das endlos erscheinende Innenmeer, die Strudelsee, das feuchte Grab mit all seinen Schrecken.
    Dass diese Schrecken sich bisher noch nicht offenbart hatten, schrieben viele allein den Künsten des Magiers zu, der nun neben dem Steuermann stand, von dem es hieß, noch niemand habe ihn anders gesehen als so, wie er statuengleich an der langen Ruderstange stand, den Blick starr geradeaus gerichtet, das Holz mit eisernem Griff umklammert.
    Um Rachamon herum waren seine Siebenläufer. Sie krochen an seinem langen dunklen Gewand empor, krallten sich in seinem Nacken fest und huschten dann wieder aufgeregt umher. Kein Wort kam über die Lippen des Zauberers, wenn er seine Magie wirkte. Nur manchmal zuckte es um seine Mundwinkel, wenn der Sturm anhob oder Gischt über die Planken spritzte.
    Und auch der Steuermann, der ähnliche Rituale schon so oft beobachtet hatte, schwieg. Noch nie hatte er die Siebenläufer so erregt hin und her huschen sehen. Noch nie hatten sie sich so verbissen an ihren Herrn geklammert, gerade so, als suchten sie in und unter seinem Gewand Schutz vor etwas, das unaufhaltsam auf das einsame Schiff zukam.
    Die Furcht schlich sich in die Herzen der Männer. Sie alle spürten das Namenlose, das die Nacht erfüllte. Niemand brauchte sie zum Rudern aufzufordern. Sie quälten sich, als ob es gelte, vor Dämonen zu fliehen, die im Kielwasser der Lichtfähre mitschwammen, von unheimlichen Kräften herbeigerufen.
    Und sie raunten einen Namen: »Oblak!«
    Noch aber war die Angst vor dem Kapitän und seinen Männern größer als die vor jenem, von dem geflüstert wurde, er sei besessen von den Geistern der Seeleute, die hier in der Strudelsee ihr nasses Grab gefunden hatten. Auch in den Augen der Aufseher stand die Furcht geschrieben, doch zu sehr waren sie auf den Moronen eingeschworen – und Oblak befuhr mit ihnen die See, solange sie als Mannschaft zusammen waren.
    Die Männer suchten also nach einem anderen Sündenbock, und es fiel ihnen nicht schwer, den zu finden.
    Die Frau! Das Mädchen hatte das Unheil über die Gasihara gebracht! Jejed musste sie opfern!
    *
    Unter Deck, im mächtigen Bauch des Schiffes, herrschten mehr als menschenunwürdige Zustände. Die zwanzig Dutzend Legionäre, die von Sonnenaufgang bis Sonnenuntergang an den Rudern gesessen hatten, lagen ächzend und wehklagend auf dünnen, schmutzigen Matten und wanden sich vor Schmerzen – soweit sie vom Schlaf der Erschöpfung noch nicht übermannt worden waren. Ihre Hände waren blutig aufgerissen, die Füße voller Blasen, Beine und Gesäß wund gescheuert. Die meisten lagen auf dem Bauch, fluchten und hielten sich

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