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Treibgut

Treibgut

Titel: Treibgut Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Maren Schwarz
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Lippen erinnerte er Henning an einen Schauspieler aus Hollywood, dessen Namen ihm im Moment nicht einfallen wollte. In seinem leicht gehetzten Blick erkannte Henning die unterdrückte, aber dennoch sichtbare Nervosität eines Mannes, der vor irgendetwas auf der Flucht zu sein schien. Vielleicht auf der Flucht vor seinem Gewissen? Je länger Henning darüber nachdachte, umso passender schien ihm dieser Vergleich.

20
     
     
    In der Nacht zum Sonntag brachen sie nach Italien auf. Sie hatten jeder eine Tasse Kaffee getrunken, vor lauter Müdigkeit aber nichts gegessen.
    Die erste Zeit fuhren sie noch durch die Dunkelheit. Später in den erwachenden Morgen hinein, der sich ihnen grau und wolkenverhangen präsentierte. Da wenig Verkehr herrschte, kamen sie selbst dann noch zügig voran, als es auf dem Brenner zu schneien begann.
    Der immer dichter werdende Schneefall begleitete sie bis in die Gegend um Bozen, wo er in sintflutartigen Regen überging. Während der Scheibenwischer von Hennings Polo Schwerstarbeit zu leisten hatte angesichts der Wassermassen, die sich aus dem bleigrauen Himmel ergossen, kämpften sie sich Kilometer um Kilometer durch die von Nebelschwaden verhüllte Bergwelt der Dolomiten.
    Kurz vor Modena hörte der Regen plötzlich auf und es begann allmählich aufzuklaren.
    Als sich dann noch für einen Moment die Sonne sehen ließ, kam fast schon Ferienstimmung auf. Vor Hennings geistigem Auge tauchten Bilder von Weinbergen, Zypressenalleen und Olivenhainen auf. Die damit verbundenen kulinarischen Genüsse ließen ihm das Wasser im Mund zusammenlaufen. Als hätte Leona seine Gedanken erraten, erkundigte sie sich, was er von einer kleinen Stärkung halte. »Wie wär’s mit Pasta?«
    »Pasta wäre toll«, meinte Henning.
    Wenig später gönnten sie sich ein ausgiebiges Mittagessen. Anschließend übernahm Leona das Steuer.
    Während sie auf der von Tunneln gesäumten Autobahn in Richtung Bologna fuhren, erzählte sie ihm von Bruno. »Er hat mal für das BKA gearbeitet. Man hatte ihm die Leitung einer SOKO übertragen. Es ging um die Opfer eines Bandenkrieges, an deren Obduktion ich beteiligt war. Bruno wirkte immer sehr still und ernst. Dass wir uns anfreundeten, hatte jedoch nicht das Geringste mit dem Fall zu tun. Sondern mit meiner katastrophalen Verfassung. Wegen Rüdiger«, ergänzte sie niedergeschlagen. »Ich konnte einfach nicht akzeptieren, dass er tot war. Die Wohnung, sie war plötzlich so leer. Ich habe es dort einfach nicht mehr ausgehalten und bin ziellos umhergeirrt.«
    Henning erinnerte sich noch an den Schmerz in ihrer Stimme, als sie ihm von dem tragischen Tod ihres Freundes erzählt hatte. Es war an ihrem letzten gemeinsamen Abend auf Rügen gewesen. In dieser Nacht hatte er auf ihr Drängen hin von Anouschka erzählt und daraufhin alles erfahren, was es über Rüdiger Ortmann zu wissen gab. Seinetwegen hatte Leona die Zelte in der sächsischen Landeshauptstadt abgebrochen und war nach Netzschkau gezogen, wo er als Rechtsanwalt eine kleine, gutgehende Kanzlei betrieb. Es war Liebe auf den ersten Blick gewesen. Sie hatten sich während eines Wanderurlaubs auf den Kanaren kennengelernt. Das Glück schien perfekt. Zumindest bis zu dem Tag, an dem Rüdiger von seinem Arzt eröffnet bekam, dass ein bösartiger Tumor Schuld an seinen in letzter Zeit gehäuft auftretenden Kopfschmerzen war. Was folgte, waren Jahre der Ungewissheit und Qual. Sein Tod war für sie das Ende gewesen, ein plötzlicher Stopp, nach dem nichts mehr kommen konnte. Das Leben war ihr durch und durch sinnlos erschienen.
    In dieser Verfassung war sie in der nächstbesten Kneipe gelandet. »Es muss wohl Vorsehung gewesen sein, dass ich dort ausgerechnet auf Bruno getroffen bin. Ich war völlig fertig«, erzählte sie. »Das muss er gespürt haben. Jedenfalls hat er mich auf ein Glas Wein eingeladen.«
    In den darauffolgenden Wochen hatten sie sporadisch miteinander telefoniert, woraufhin Bruno allmählich zu so etwas wie einem guten Freund für sie wurde. »Und dann ruft er mich eines Tages an. Sagt, er hat im Lotto gewonnen. Der unverhoffte Geldsegen ermöglichte es ihm, ein neues Leben zu beginnen. Wobei sein erster Schritt darin bestand, die Kündigung einzureichen und sich in der Toskana zur Ruhe zu setzen. Dass seine Wahl auf Italien gefallen ist, dürfte seiner Mutter geschuldet gewesen sein. Sie ist – war«, verbesserte sie sich, »Italienerin.«
    »Allmählich fange ich an, ihn zu beneiden«, meinte Henning, als

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