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Treibgut

Treibgut

Titel: Treibgut Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Maren Schwarz
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gekommen waren. Nur dass sie diesmal nicht viel miteinander sprachen und auch keinen Blick für die Schönheit der Landschaft hatten.
    Sie erreichten Netzschkau bei Einbruch der Nacht. Entgegen seines ursprünglichen Planes beschloss Henning, sich ein paar Stunden Schlaf zu gönnen. Ihm war, als sei er seit Wochen unterwegs. Die Strapazen der letzten Zeit hatten ihn bis an die Grenzen seiner Belastbarkeit getrieben. Er konnte sich kaum noch auf den Beinen halten. Auch wenn er das niemals zugegeben hätte. Kaum lag er im Bett, fielen ihm die Augen zu.
    Als er erwachte, war es kurz nach sechs Uhr. Obwohl er nicht mehr als sieben Stunden geschlafen hatte, fühlte er sich besser als erwartet. Leona schlief noch, als er aufbrach.
    Um sie nicht aufzuwecken, hatte er ihr eine Notiz auf dem Küchentisch hinterlassen und sich ohne Frühstück davongestohlen. Als ihn der Hunger zu quälen begann, hielt er an einem Autobahnrastplatz, wo er sich einen Kaffee und ein Käsebrötchen kaufte.
     
    Als er Stunden später auf den Rügendamm einbog, riss die Wolkendecke auf. Von der dahinter zum Vorschein kommenden Sonne angestrahlt, bot das Stadtbild von Stralsund hinter dem gleißenden Wasserspiegel eine märchenhafte Kulisse, aus der deutlich die Türme der St.-Marien-, St.-Jacobi- und St.-Nikolaikirche herausragten. Für die Dauer eines Wimpernschlages erhaschte Henning einen Blick auf den Hafen mit seinen Speicherhäusern und Kränen. Der vertraute Anblick ließ ihn tief durchatmen. Endlich spürte er wieder Salzluft durch seine Lungen zirkulieren. Sie fühlte sich weich und würzig an. Wie ein Vorbote des nahenden Frühlings.
    Mit einem Mal konnte er es kaum erwarten, bis es so weit war, wenn er wieder durch Buchenwälder voller Buschwindröschen streifen und sich den Wind um die Nase wehen lassen konnte.
    Irgendetwas an den Bildern, die mit dieser Vorstellung einhergingen, versetzte ihn in Alarmbereitschaft. Der Jasmund, durchzuckte es ihn. Natürlich! Die Unglücksstelle! Das war es. Plötzlich wusste er, wo er Elena zu suchen hatte.
    Wie hatte er nur so blind sein können? Während sein Verstand auf Hochtouren arbeitete, drückte er das Gaspedal durch und hoffte, dass es nicht schon zu spät war. Dass Marlies sich bisher nicht wieder bei ihm gemeldet hatte, konnte nur bedeuten, dass es noch keine Spur von Elena gab. In seinen Fingerspitzen begann es zu kribbeln. Es gab nur eine Möglichkeit, um sich Klarheit zu verschaffen.
     
    Viel zu schnell fuhr er nach Sassnitz. In einer geradezu filmreifen Szene jagte Henning seinen Wagen über die holprige Pflasterstraße bis zum Parkplatz an der Waldhalle. Dort brachte er ihn mit quietschenden Reifen zum Stehen und hastete zur Unfallstelle.
    Inzwischen war es kurz vor vier. Bald würde es dunkel werden.
    Obwohl sein Körper vor Adrenalin zu bersten schien, fiel es ihm von Schritt zu Schritt schwerer, das angeschlagene Tempo beizubehalten. Bei seiner Ankunft war Henning in Schweiß gebadet. Sobald er wieder zu Atem gekommen war, begab er sich auf Spurensuche.
    Doch da war nichts. Nicht der geringste Hinweis, der seiner Vermutung recht gegeben hätte. Die Gegend machte einen verlassenen Eindruck. Weit und breit nichts als gähnende Leere.
    Er trat durch eine letzte Gruppe von Bäumen. Als sein Blick auf den Abgrund dahinter fiel, ging ein kaum wahrnehmbares Zittern durch seinen Körper.
    Was, dachte Henning, während er sich wie im Zeitlupentempo darauf zu bewegte, wenn sich gleich sein schlimmster Albtraum bewahrheiten würde? Was dann? Doch der tief unter ihm liegende Strandabschnitt wirkte ebenso verwaist wie die von einem Flechtwerk aus kahlen Ästen begrenzte Unglücksstelle. Henning fühlte sich von einer zentnerschweren Last befreit. Hierher schien sich schon lange keine Menschenseele mehr verirrt zu haben. Dazu war das Gelände zu abseits gelegen, das Wetter der letzten Monate zu rau.
    Gerade als er unverrichteter Dinge den Rückweg antreten wollte, vernahm er ein kaum wahrnehmbares Geräusch. Es klang wie ein leises Stöhnen und schien aus Richtung eines Gebüschs im Schatten des Waldes zu kommen.
    Nachdem sich Henning einen Weg durch das Dickicht gebahnt hatte, das von Brombeerranken begrenzt wurde, sah er sich einer in einen dicken olivgrünen Parka gehüllten Gestalt gegenüber, die reglos auf einem aus Zweigen und Moos errichteten Lager kauerte. Ihr seitlich auf den angezogenen Knien ruhender Kopf war von einer Kapuze bedeckt, die sie bis tief in die Stirn gezogenen hatte.

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