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Treibgut

Treibgut

Titel: Treibgut Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Maren Schwarz
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mit einer energischen Handbewegung zuvor. »Stattdessen haben Sie mit Ihrem Verschwinden ganze Völkerscharen in helle Aufregung versetzt. War das wirklich nötig?«
    »Wohl kaum.« Ihre Augen begannen erneut zu glänzen. Dann rollte eine Träne ihre Wange hinunter. »Ich dachte halt nur …«
    »Was?«
    »Ach, vergessen Sie’s.« Sie winkte ab. »Das Ganze war nichts weiter als eine fixe Idee.« Noch bevor Henning etwas erwidern konnte, sagte sie, die Pension habe bei ihrer Ankunft einen verlassenen Eindruck gemacht. »Im Fenster hing das Schild eines Maklerbüros, das mit dem Verkauf beauftragt ist. Als ich dort anrief, sagte man mir, dass es einen Unfall gegeben hat: Ein Treppensturz, bei dem sich die Besitzerin der Pension so schwer verletzte, dass sie seither im Wachkoma liegt.«
    Für einen Moment wusste Henning nicht, was er darauf erwidern sollte. Ihre Worte hatten ihn aufgewühlt. Schon deshalb, weil sie ihm seine eigene Unzulänglichkeit vor Augen hielten. Wieso war er nicht selbst darauf gekommen, die Inhaberin der Pension aufzusuchen?
    »Danach«, riss Elenas Stimme ihn aus seinen Überlegungen, »bin ich hierher gekommen. Ich …, nun, also, das mag jetzt verrückt klingen, aber ich dachte, es könnte sich hilfreich auf mein Erinnerungsvermögen auswirken.«
    »Und? Erfolg damit gehabt?«
    »Leider nein. Für einen kurzen Moment dachte ich zwar …«, sie hielt verlegen inne.
    »Dachten Sie was?«, insistierte Henning.
    »Ach, nichts.« Sie senkte den Kopf, um ihren vor Kälte starren Händen Wärme einzuhauchen.
    Doch Henning ließ nicht locker: »Nun kommen Sie schon, raus mit der Sprache. Vielleicht hilft es uns ja weiter.«
    »Ich …, nun, also, ich konnte Leas Anwesenheit spüren. Es war, als könnte ich die Hand nach ihr ausstrecken und sie berühren.«
    »Und?«
    »Nichts und. Es war wie gesagt nur so ein Gefühl. Aber möglicherweise hab ich mir das Ganze auch nur eingebildet, genauso wie den Schatten.«
    »Den Schatten?« Plötzlich war Henning hellwach.
    »Hört sich verrückt an, wie?«
    »Keineswegs! Erzählen Sie mir davon.« Das war keine Bitte, sondern eine Aufforderung.
    »Ich fürchte, da gibt es nichts zu erzählen, jedenfalls nichts, was für den normalen Menschenverstand erklärbar wäre. Es war mehr eine Ahnung. Das Empfinden einer unsichtbaren Bedrohung.« Sie hob hilflos die Hände. »Sie müssen mich ja für total bescheuert halten. Wenn das so weitergeht, werd ich tatsächlich noch verrückt.« Ihre Stimme drohte auf einer Träne auszugleiten.
    »Ich finde das überhaupt nicht verrückt.«
    Elena wirkte unentschlossen. »Sagen Sie das jetzt nur, um mich zu trösten, oder weil Sie es für möglich halten, dass ich mich vielleicht noch an irgendetwas erinnern könnte, dem ich bislang nur nicht die nötige Aufmerksamkeit schenkte, weil …?«
    »Weil was?«
    »Weil ich die Augen vor der Realität verschlossen habe. Wenn ich Danko doch bloß ein einziges Mal zur Rede gestellt hätte, wo er sich nachts herumtreibt. Möglicherweise wäre es dann gar nicht erst so weit gekommen …« Ihre Stimme verlor sich in stumpfem Brüten.
    »Jetzt lassen Sie uns erst mal abwarten.«
    »Abwarten, abwarten, wie ich dieses Wort hasse! Was glauben Sie, was ich die ganze Zeit über tue. Nichts anderes!« Von unkontrolliertem Schluchzen begleitet schlug sie die Hände vors Gesicht.
    »Ich wollte damit lediglich sagen, dass ich es für äußerst gewagt halte, Danko nur wegen seiner Spielsucht gleich unter Generalverdacht zu stellen«, bemühte sich Henning um Schadensbegrenzung.
    »Glauben Sie, ich weiß das nicht? Seit Ihrem Anruf denke ich über nichts anderes nach, ehrlich. Ich…« Erschöpft hielt sie inne.
    »Wir sollten besser aufbrechen. Sie müssen völlig fertig sein.« Henning musterte sie besorgt. Elena musste jetzt seit mindestens 34 Stunden auf den Beinen sein. Was für ein Irrsinn, bei diesen Temperaturen! Kein Wunder, dass sie vor Müdigkeit eingeschlafen war. »Wie lange sind Sie überhaupt schon hier?«, erkundigte er sich und sah in den von Minute zu Minute düster werdenden Himmel.
    »Seit heute Vormittag«, meinte Elena. Sie griff nach ihrem Rucksack, schnürte ihn auf und entnahm ihm eine halb volle Wasserflasche.
    »Und die Nacht davor?«
    »Hab ich in der Pension verbracht.« Ihrem ausweichendem Blick nach zu urteilen, schien ihr das Thema unangenehm zu sein.
    »Ich denke, die ist geschlossen?«
    »Ist sie ja auch.« Elena setzte die inzwischen geöffnete Flasche an ihre Lippen

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