Treibhaus der Träume
umarmen, aber dieser wehrte mit beiden Händen ab.
»Du hast über zwei Millionen gestohlen?« fragte er. Er kaute an jedem Wort, als sei es zäher Brei.
»Ja.« Bornemann steckte sich wieder eine Zigarette an. Seine Finger bebten wie im Schüttelfrost.
»Die Operation kostet eineinhalb Millionen.«
Lähmende Stille lag im Raum. Bornemann wich zu dem kleinen Fenster zurück. Die Zigarette fiel aus seiner Hand und brannte sich in die Kunststoffplatten ein, mit denen der Boden belegt war. Es roch wie nach Teer. Über das Gesicht Lorentzens zuckte es. Aber er schwieg.
»Bist … bist du verrückt …«, stammelte Bornemann endlich.
»Ich brauche eineinhalb Millionen. Du bist der einzige, der sie hat und der sie sofort geben kann.« Lorentzens Stimme war tonlos. Er wunderte sich, daß sie überhaupt hörbar war. »Es bleiben dir noch über fünfhunderttausend Mark … und ein neues Gesicht … ein neues Leben …«
»O du Hund! Du gemeiner Hund! Du Schwein!« Bornemann lehnte an der Wand. Seine Fäuste ballten sich.
»Es geht um die Klinik. Wenn ich bis Ende der Woche nicht eineinhalb Millionen habe, wird die Klinik geschlossen. Man hat mir den Hahn zugedreht. Du weißt, was das bedeutet, wenn ich gehe.« Lorentzen setzte sich schwer auf die Bettkante; dann ließ er sich zurückfallen in die Kissen und legte beide Hände über seine Augen. »Alles ist so unbeschreiblich gemein. Du sollst mir dieses Geld nur leihen, damit ich mir meine Freiheit erkaufen kann. Du kannst die Klinik retten.«
»Ein Bankräuber –«
»Das müssen wir vergessen.«
»Mensch, Lutz, du bist ja völlig durcheinander.« Bornemann setzte sich neben Lorentzen aufs Bett. »Du bist ja gar nicht mehr Lorentzen.« Er legte ihm die Hände auf die Schultern. »Wenn du mir ein neues Gesicht machst und es kommt später heraus, kannst du immer noch sagen, du hättest von nichts gewußt. Aber mit dem Geld …«
»Ich weiß nicht mehr, was ich tun soll.« Lorentzen richtete sich auf. Seine Augen waren gerötet, als habe er das Weinen unterdrückt. »Die Klinik, die Schönheitsfarm, alles geht in die Brüche.«
»Und alles meinetwegen?«
»Ja.«
»Dann wirf den ganzen Krempel hin und komm mit.« Bornemann zog Lorentzen vom Bett. Er ließ es sich gefallen, als sei er eine große Puppe. »Lutz, Junge, ich mache dir einen Vorschlag. Mach mir ein neues Gesicht, und dann hauen wir ab, wir zwei. Irgendwo lassen wir uns nieder, die Welt ist ja so groß und schön. Gute Ärzte braucht man überall. Ich baue uns ein schönes Haus, du machst deine Praxis auf, und ich lebe so, wie ich es immer wollte. Die zwanzig Jahre, die wir noch vor uns haben, die kriegen wir noch rum. Ist das ein Vorschlag, Junge? Weg aus Europa! Den Staub von den Stiefeln schütteln! Vergessen, was war! Jung werden im neuen Leben! Mein Gott, Lutz: Ich kann dich retten! Komm mit in die Welt …«
»Und Marianne?«
»Wer ist Marianne?«
»Marianne Steegert, eine der Chefinnen der Schönheitsfarm. Ich liebe sie.«
Bornemann wedelte mit beiden Händen durch die Luft. »Mädchen gibt es auch überall.«
Dr. Lorentzen schüttelte den Kopf. »Ich kann nicht«, sagt er leise.
Er verließ das Zimmer. Nachdenklich setzte sich Bornemann aufs Bett und sagte laut: »Scheiße!«
Am nächsten Morgen war der Vorfall mit dem Feuer fast vergessen. Auf der Schönheitsfarm ordneten sich die Damen wieder dem strengen Stundenplan unter. Sie lagen unter der Lymphdrainage, ließen sich vom ›Nemectron‹ die Muskulatur beklopfen, wässerten sich in Buttermilchbädern oder empfanden das angenehme Jucken beim Peeling der Gesichtshaut. Die Yogastunde war wieder voll besucht. Da es regnete, schwamm man im Kellerpool. Das war ein intimes Schwimmbecken, um das zierliche französische Möbel standen. Eine Bar war auch da; allerdings gab es dort nur Fruchtcocktails, Gemüsesäfte und Kräutertees.
Auch in der Klinik ging der Betrieb weiter. Am Vormittag war Sprechstunde; neue Patienten stellten sich vor, die sich schon vorher schriftlich angemeldet und eine Einladung bekommen hatten.
Nach drei Patienten, die eine Höckernase, Aknenarben und abstehende Ohren hatten, schickte die Sekretärin ein neues Karteiblatt zu Dr. Lorentzen.
Arnulf Tocker, stand darauf. Opernsänger.
Lorentzen erinnerte sich an den Brief Tockers vor zwölf Tagen. Er hatte darum gebeten, sich einmal vorstellen zu dürfen. Schildern wollte er sein Leiden nicht, man müsse es sehen. So war selbst bei Lorentzen die Spannung groß, als er
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