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Treibhaus der Träume

Treibhaus der Träume

Titel: Treibhaus der Träume Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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durch einen Knopfdruck auf das Lichtsignal im Sekretariat bekanntgab: Kommen lassen.
    Arnulf Tocker war ein großer, breitschultriger, schöner Mann mit einer blonden, lockigen Künstlermähne. Er sah genauso aus, wie man sich einen Opernsänger vorstellt. Breiter Brustkasten, Kragenweite 48, blitzende Augen und ein Mund, von dem man erwartete, daß er dauernd Mimimimi sagt oder Arien ausstößt. Er blieb an der Tür des Sprechzimmers stehen und verlor sein Siegfriedlächeln, als sich die Tür geschlossen hatte und er allein mit Lorentzen war.
    »Was kann ich für Sie tun, Herr Tocker?« fragte Lorentzen. Der erste Anblick war imponierend. Hier brauchte man kein Skalpell. Tocker war ein schöner Mann.
    Der Opernsänger sah sich um. »Sind wir allein, Doktor?« fragte er mit der resonanzreichen Stimme, die allen Sängern eigen ist.
    »Ja.«
    »Ganz allein?«
    »Ich kann versichern, daß kein anderer sich hinter dem Schreibtisch versteckt hat oder im Schrank steht. Doch halt: Im Schrank ist ein menschlicher Schädel. Ein Modell aus Plastik. Der stört uns doch nicht?«
    Arnulf Tocker lächelte gequält. »Sie halten mich für einen verrückten Künstler, Doktor. Dabei weiß ich wirklich nicht, wie es weitergehen soll.« Er holte tief Atem. In seinem Brustkasten rauschte es förmlich. »Ich bin Tenor.«
    »Ich weiß. Ich habe sogar drei Platten von Ihnen. Aida, Troubadour und Tosca.«
    »Da haben wir es! Wissen Sie, daß ich diese herrlichen Rollen fast nur auf der Platte oder im Funk singe? Selten auf der Opernbühne? Daß ich …« Arnulf Tocker wischte sich mit der Hand über das Gesicht. »Ein Tenor ist immer der Liebhaber oder der Held auf der Bühne.«
    »Meistens«, sagte Lorentzen. Sollte das ein Psychopath sein, dachte er. Warum ist er hier? Er sieht strahlend aus.
    »Ein Held muß schön sein.«
    »Das ist die landläufige Ansicht des Publikums.«
    »Wenn ich den Siegfried singe, was trage ich? Lendenschurz und Schnürstiefel. Wenn ich den Radames singe, was trage ich? Brünne und Rock. Als Lohengrin entsteige ich dem Schwanennachen in silberner, enger Uniform. Als Troubadour trage ich enge Trikots an den Beinen. O Gott, es gibt kaum eine Rolle als Tenor, wo nicht von den Füßen an Schönheit verlangt wird. Und dann stehe ich vor dem Kostümbildner, er betrachtet mich und schüttelt den Kopf. ›Das geht nicht, Herr Kammersänger!‹, heißt es dann. Wenn ich das schon höre! Aber es geht wirklich nicht. Sehen Sie sich das an, Doktor.«
    Arnulf Tocker zog seine Jacke aus, löste den Gürtel der Hose und ließ die Hose herunterfallen. In kurzen, weißen Unterhosen stand er da, ein strahlender Held bis zu den Knien. Was aber dann kam, war wirklich ergreifend. Dr. Lorentzen hatte Mühe, ein breites Lächeln zu verbeißen.
    Kammersänger Tocker hatte die gebogensten O-Beine, die Lorentzen je gesehen hatte. Es waren ›Säbelbeine‹ wie aus dem Lehrbuch für Rachitis. Ein mittelgroßer Hund konnte im gestreckten Lauf zwischen ihnen hindurchrasen, ohne sie zu berühren.
    Arnulf Tocker hatte Lorentzen scharf beobachtet. Kläglich stand er in seinen heruntergefallenen Hosen.
    »Sie lachen innerlich, Doktor. Ich sehe es Ihnen an. Alle tun das. Ich bin das gewöhnt, und doch macht es mich rasend. Ich kann nur Rollen singen, die in wallenden Gewändern spielen. Den Tannhäuser etwa. Oder den Parsifal. Im Bajazzo kann man es noch schaukeln, aber stellen Sie sich den strahlenden Rudolf in Boheme mit solchen Beinen vor. In Berlin ist es mir passiert … 1. Akt, meine große Arie ›Wie eiskalt ist dies Händchen –‹. Und was ruft man vom dritten Rang?: ›Na klar, bei dem Durchzug …!‹ Ich konnte nicht mehr weitersingen. Ich spielte tagelang mit dem Gedanken, ein Röllchen Schlaftabletten zu nehmen und Schluß zu machen. Ich zerbreche an diesen Beinen. Können Sie mir helfen, Doktor?«
    Dr. Lorentzen kam nahe an Arnulf Tocker heran, hockte sich auf einen Schemel und sah sich die ungewöhnlich gebogenen Unterschenkelknochen an.
    »Das ist eine schwere Operation«, sagte er ernst.
    »Ich weiß. Ich … ich war schon bei neun Chirurgen.«
    »Aha! Und was sagten die Kollegen?«
    »Sie lehnten ab.«
    »Ich sollte es auch, Herr Kammersänger.«
    »Dann nehme ich Schlaftabletten.« Tocker zog seine Hose hoch. »Ich habe für die nächste Saison einen Vertrag an die Met in New York. Können Sie ahnen, was passiert, wenn ich mit diesen Beinen als Siegfried über die Bühne laufe?«
    Lorentzen setzte sich in einen der Sessel

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