Treibhaus der Träume
eine Gehirnerschütterung, dachte er. Das ist eine deftige Gehirnerschütterung.
Um die gleiche Zeit saß Dicki, fiebernd vor Aufregung, am Telefon. Er rief nicht die Polizei an. Er telefonierte hinüber zur Schönheitsfarm, wo er Dr. Lorentzen wußte.
»Wir haben einen Bankräuber?« schrie er, als sich Lorentzen meldete. »Chef … er ist vor fünf Minuten auf und davon!«
Einen Augenblick war Dr. Lorentzen wie erstarrt. Dann fing er sich und sagte mit so ruhiger Stimme wie möglich: »Danke, Dicki. Haben Sie zuviel getrunken?«
»Chef!« Dickis Stimme zitterte vor Protest. »Ich bin nüchtern wie eine Ordensschwester … Er ist eben mit zwei Koffern aus dem Haus gerannt. An mir vorbei!«
Bornemann ist verrückt, dachte Lorentzen erschrocken. Er ist total verrückt. Wo will er denn hin? Mit zwei Koffern, in denen zwei Millionen Mark in bar sind. Alle Grenzen werden jetzt gesperrt. Mit Hunden wird man ihn hetzen. Er hat doch gar keine Chance mehr.
»Wie kommen Sie auf die Verdächtigung?«
»Herr Rappel … Der Kerl hat ihn niedergeschlagen!«
Lorentzen atmete tief auf. Bornemann mußte den Kopf verloren haben. Aber wie kam der Patient Horst Rappel unters Dach, wo er gar nichts zu suchen hatte? Lorentzen schloß die Augen und suchte in der Erinnerung. Rappel … das war der Mann mit der großen Rückennarbe. Der Mann mit der Keloidbildung.
»Was soll ich tun, Chef?« fragte Dicki, dem die Stille am anderen Ende des Drahtes unheimlich vorkam. »Herr Rappel sagt, ich soll die Polizei anrufen.«
»Sie warten, bis ich komme!« Lorentzen legte auf und behielt die Hand am Hörer. Marianne, die ihn die ganze Zeit beobachtet hatte, beugte sich vor und zupfte ihn am Ärmel. Lorentzen zuckte zusammen; er war völlig geistesabwesend gewesen.
»Was ist passiert, Lutz?« fragte sie.
»Ein Patient ist weggelaufen.«
»Und das regt dich so auf?«
»Der Patient soll der gesuchte Bankräuber von Frankfurt sein.«
»So eine Dummheit! Wieder Dicki!« Marianne lachte. »Reg dich doch nicht auf, Lutz. Du bist überarbeitet. Es war alles zuviel auf einmal. Ein Bankräuber. So etwas Dummes!«
Lorentzen hob den Telefonhörer wieder auf. Er sah Marianne dabei an, als nehme er Abschied. Und irgendwie war es auch ein Abschied … wenn man Bornemann fing und er erzählte von ihrer Freundschaft und von den Wochen, die er sich mit Wissen seines Freundes Dr. Lorentzen in der Klinik verbergen konnte, mußte es einen Abschied für immer geben. Und dann gab es auch keinen Arzt mehr, dann war auch der Ansatz zu einem zweiten glücklichen Leben verspielt, dann mußte er untertauchen in die graue Anonymität und irgend etwas tun, um wenigstens weiterleben zu können. In einem Büro vielleicht oder als Krankenpfleger irgendwo im Ausland … Oder man endete so, wie viele aus der Bahn geworfene Ärzte: als Säufer in einem schmierigen Hotelzimmer oder im harten Bett einer Trinkerheilanstalt.
»Es ist wahr«, sagte er heiser. »Er ist der Bankräuber.«
Mit einem Aufschrei sprang Marianne auf. »Du hast es gewußt?«
»Ja.«
»O Himmel!«
»Auch der hilft jetzt nicht mehr.«
»O Lutz, warum hast du das getan? Was wird jetzt?«
»Ich rufe die Polizei. Das ist noch das einzige Plus, das ich habe, bevor es ein anderer tut.«
Er drehte die Nummer der Landpolizei, nannte seinen Namen und sagte mit fester Stimme: »Vor etwa zwanzig Minuten ist aus meiner Klinik ein Mann geflüchtet, in dem man den Bankräuber Hans Bornemann erkennen wollte. Danke.«
»Was sagen sie?« flüsterte Marianne, als könne man sie auf der Polizei noch hören. Lutz ließ den Hörer zurückfallen.
»Sie kommen. Und sie alarmieren München.«
Horst Rappel lag im Bett und sah die Welt nur noch durch einen Schleier. Dr. Thorlacht hatte eine Gehirnerschütterung festgestellt. Man hatte ihm eine Traubenzuckerinjektion gemacht und Kreislaufmittel gegeben, das Zimmer abgedunkelt und strengste Bettruhe verordnet.
Aber wie kann ein Journalist im Bett liegen, wenn die große Sensation, seine Sensation, auf die er jahrelang gewartet hat, endlich gekommen ist?
Als die Sonderkommission aus München eintraf, saß Rappel im Bett und telefonierte mit seiner Redaktion in Frankfurt. Sosehr ihm auch der Kopf brummte, er gab den ersten ›Kampfbericht‹ satzreif durch. Man hatte die dritte Seite sofort freigemacht, um Rappels ›Kampf auf Leben und Tod mit einer Bestie in Menschengestalt‹, wie er es dramatisch übersteigerte, groß zu bringen. Ein Fotograf aus München war
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