Treibhaus der Träume
verflucht schöner Kerl sind, Ilse!«
»Ist das ein Kompliment?«
»Mein höchstes! Über ›Kerl‹ geht nichts mehr.«
Mein guter Junge, dachte Ilse und bekam ein heißes Herz. Mein lieber, süßer Junge. Du weißt gar nicht, was du da sagst. Du nimmst mir alle Komplexe wieder weg, die in mir angesammelt sind. Du machst mich jünger als die achtundzwanzig Jahre, die ich bin. Du machst mich zu einem verliebten, kleinen Mädchen. Guter Junge …
»Hören Sie gern Platten?« rief sie. Ihre schwarzen Haare wehten wie eine Piratenflagge. Dr. Thorlacht nickte mehrmals.
»Ja!« schrie er ihr ins Ohr. Wind und Motorenlärm waren sonst undurchdringbar.
»Was?«
»Mozart.«
»Muß das sein?«
»Auch Tschaikowsky.«
»Ich kann aber weder Schwanensee noch Dornröschen tanzen!« Ilse sah ihn wieder strahlend an. »Aber Tango und Letkiss und einen Beat …«
»Wenn's sein muß!« Dr. Thorlacht lachte in den Wind. »Wo?«
»Bei mir.«
»Ich bringe eine Flasche Schampus mit. Einverstanden?«
»Einverstanden. Um 21 Uhr?«
»Frack oder Smoking?«
»Alles, außer Badehose!«
»Also ganz ohne?«
»Das traue ich Ihnen nicht zu!«
»Es wäre auch eines Großwildjägers unwürdig! Ich möchte die Gazelle nicht erschrecken, sondern einfangen für einen schönen Zoo.« Sie sahen sich kurz an, und nur, weil der Wagen nicht sofort anzuhalten war, ohne daß er sich überschlagen hätte, fielen sie sich nicht um den Hals.
Um halb zehn Uhr abends klingelte das Telefon bei Dr. Lorentzen. Marianne war am Apparat.
»Weißt du, wer bei Ilse ist?« fragte sie.
»Sag bloß: Ein Mann!«
»Ja. Und sie tanzen Beat, daß die Dielen wackeln.«
»Das muß ja eine richtige Type sein! Ich verstehe Ilse nicht. Sie dreht wohl völlig durch, was?«
»Hoffentlich!«
»Das freut dich?«
»Der Mann bei Ilse ist dein Protektionskind, Dr. Thorlacht.«
»Nein!« rief Lorentzen. »Und der tanzt Beat?«
»Wie ein Band-Boy.« Die Stimme Mariannes zitterte vor Freude. »Ich glaube, Lutz, das größte Problem zwischen Schönheitsfarm und Klinik wird heute abend gelöst.«
»Ich werde Thorlacht morgen einen Lorbeerkranz geben. Er hat ihn sich ehrlich erkämpft.«
»Du bist schrecklich! Man kann dich nicht allein lassen.«
Dr. Lorentzen lachte glücklich. »Die Terrassentür steht offen …«, sagte er und küßte das Telefon.
Zwei Tage waren seit der Flucht Bornemanns vergangen.
Die Hubschrauber gaben die Suche auf, die Polizisten von St. Hubert nannten ihre Hunde ›blöde Biester‹, die Sonderkommission aus München, zu der sich auch noch zwei Beamte aus Frankfurt gesellt hatten, verließen St. Hubert. Der einzige, der zufrieden war, war Horst Rappel.
Man hatte seine Berichte groß gebracht. Die Leser hatten die Fotos bestaunt. Ein Reporter, schwer verwundet durch einen Bankräuber. Die Fotos, die man von Rappel machte, waren steinerweichend. Er zeigte eine ausgesprochen pantomimische Begabung.
Nun saß er wieder an der Schreibmaschine und schrieb eine rührende Story über den Bankräuber, der ein anderes Gesicht haben will. Das war zwar eine alte Masche, aber sie zog immer wieder beim Leser. Man stelle sich vor: Da kann man neben einem Menschen stehen, der so harmlos aussieht, und es ist der Hans Bornemann … Und alles möglich durch die Kunst eines Arztes.
Der Name Dr. Lorentzen erhielt eine Aufwertung, die genau das Gegenteil dessen war, was Prof. Heberach und die Münchener Ärztekammer nach diesem neuen Vorfall erwartet hatten. Die Anmeldungen zur Untersuchung häuften sich. Schon der erste Rappel-Artikel schlug ein wie eine Bombe: Der Briefträger kam mit einem gemieteten Wagen zur Klinik. Mit dem Moped war die Post nicht mehr zu bewältigen.
Und von Bornemann keine Spur.
Wer glaubte denn daran, daß der noch in den Bergen saß, kaum zweitausend Meter von der Klinik entfernt? Daß er mit einer Schlinge, aus einem Bindfaden gemacht, einen Hasen gefangen hatte und davon lebte? Keiner sah den dünnen Rauch in den Felsen, wenn er sich ein Stück Fleisch briet. Und es hatte auch in der Nacht geregnet, und Bornemann hatte seinen Hut aufgestellt, der halb voll wurde. Regenwasser schmeckt fade und nach nichts, aber es war Flüssigkeit und löschte den Durst.
Das hätte ich gleich tun sollen, dachte er, mich hier verstecken. Dann wäre jetzt schon alles vorbei. Und der große Idealist Lutz Lorentzen wäre auch nie in Bedrückung gekommen. Aber wer denkt an so etwas, wenn ihm die Meute im Nacken sitzt? Und die Idee mit dem anderen
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