Treibhaus der Träume
Gesicht war gut … aber eben nur eine Idee.
Bornemann beschloß, noch eine Woche in den Bergen zu hausen und dann durchzubrechen an die Riviera. Und wieder hatte er eine ganz einfache Idee.
Die Bauern waren arm hier. Der Boden war karg. Für solch einen Bauern sind 5.000 DM eine Summe, die ihn reich macht.
5.000 DM für einen Pfad über die Grenze. Bornemann machte sich keine Sorgen mehr.
In der Klinik meldete sich eines Tages ein junges Mädchen an. Es war allein gekommen, und die Sekretärin, die die Karteikarte zu Lorentzen schickte, hatte notiert:
»Evelyn Heinzel, 18 Jahre, Spätschaden durch Polio.«
Dr. Lorentzen legte die Karteikarte fast vorsichtig zur Seite. Er wußte, was da auf ihn zukam. Er kannte die schrecklichen Deformierungen, die eine Kinderlähmung hinterlassen konnte. Und er wußte auch, daß in fast allen Fällen die Hoffnung auf eine operative Hilfe größer war als die Möglichkeiten der Chirurgen.
»Ich lasse bitten«, sagte er in die Sprechanlage. Dann erhob er sich hinter seinem Schreibtisch und kam dem Mädchen entgegen, das nun das Chefzimmer betrat.
Zunächst war Lorentzen betroffen von der stillen, sanften, ja ergreifenden Schönheit des Mädchens. Lange, blonde Haare flossen offen bis fast zu den Hüften. In dem runden Gesicht fielen zwei Augen auf, dunkelbraun und von samtenem Ton. Das Gesicht, der Hals, die Schultern, die jungen, festen Brüste, die Taille, die Hüften – es war alles ein Ebenmaß der Natur, lebensfroher Zusammenklang, eine Hymne auf das Menschsein.
Und dann kam die Tragik. Das linke Bein, schlank und lang, paßte noch zu aller Schönheit, gehörte dazu … aber das rechte Bein hing armselig, verkümmert, um Zentimeter kürzer, in einem Gestell aus Stahl und Leder, das um die Hüfte geschnallt war und als künstliches Bein diente. Es griff jedem an das Herz, wenn er soviel Schönheit herumhumpeln sah, und wenn er in diese großen, braunen Augen sah, die ständig zu betteln schienen: Kein Mitleid! Bitte, bitte, kein Mitleid …
»Ich brauche nicht zu fragen, Fräulein Heinzel«, sagte Lorentzen. Er gab sich Mühe, sogar fröhlich zu sprechen. »Sorgen mit Falten im Gesicht haben Sie nicht …«
»Es ist nett, Herr Doktor, daß Sie so lustig sind.« Evelyn Heinzel ließ sich in einen der Sessel fallen und streckte das Bein aus Stahl und Leder von sich. »Sie versüßen mir Ihr Nein.«
»Davon ist noch kein Ton gefallen.«
»Aber ich weiß es. Ich war bereits in elf Kliniken. Darunter in vier bekannten orthopädischen Anstalten. Was sie tun konnten, haben sie getan: Sie schickten mir einen Psychologen, der mir einreden sollte, ich müßte mit meinem Schicksal fertig werden. Nun sind Sie die zwölfte Station.«
»Und die letzte.« Dr. Lorentzen sah auf das verkürzte Bein. »Wieviel?« fragte er knapp.
»Acht Zentimeter.«
»Das ist happig. Wie groß sind Sie?«
»Einseinundsiebzig.«
»Das könnte Ihr Glück sein.«
»Ich … ich verstehe Sie nicht, Herr Doktor.« In ihre samtenen Augen traten plötzlich Tränen. »Das klingt, als hätten Sie eine Möglichkeit … O Gott, ist das wahr?« Sie faltete die Hände, als wolle sie beten. »O Gott, Sie können es …«
»Vielleicht.« Lorentzen sah noch immer auf das Bein. Er dachte an das Jahr in Paris, an den OP des Hotels Dieu, der Krankenhausstadt auf der Seine-Insel, gegenüber von Notre Dame. Dr. Fourneaux, der kleine dicke Chirurg. Angleichung eines durch Poliomyelitis im Wachstum aufgehaltenen Beines an das gesunde durch Transplantation von Knochen. Von körpereigenen Knochen. Und es gelang …
»Ich muß Ihnen vorher etwas erzählen.« Evelyn Heinzel wischte sich über die Augen. Lorentzen sah sie fasziniert an. Eine Madonna weint, dachte er. Wie konnte Gott zulassen, daß soviel Schönheit durch ein verkümmertes rechtes Bein zerstört wurde!
»Bitte –«
»Ich bin Waise. Ich lebe in Nürnberg. Ich arbeite in einer Stofftierfabrik, Abteilung exotische Tiere. Ich nähe Giraffen und Zebras, Affen und Löwen. Mein Vater starb an Krebs, meine Mutter wurde schwermütig und stürzte sich aus dem Fenster. Damals war ich fünfzehn Jahre alt. Die Kinderlähmung hatte ich mit neun. Ich verdiene im Monat netto eintausendvierhundertachtundsiebzig Mark. Meine Wohnung kostet vierhundertzwanzig Mark. Ich habe mich erkundigt, wie teuer solch eine Operation sein kann, wenn sie überhaupt möglich ist. Ich habe das Geld nicht. Ich habe achthundert Mark gespart, das ist alles. Aber ich werde mich verpflichten,
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