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Treibhaus der Träume

Treibhaus der Träume

Titel: Treibhaus der Träume Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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dem Münchener Röntgenologen zu, die mit einem Speziallineal an die Leuchttafel herantraten.
    Eines der Mysterien der Natur lag bloß vor ihren Blicken. Am Beckenkamm gibt es eine sogenannte Wachstumsspalte, eine schmale Fuge zwischen den Knochen. An der Breite der Fuge kann man feststellen, ob der Mensch noch lange wächst. Ist die Spalte nur noch haarfein, ist der Knochenreifungsprozeß abgeschlossen.
    Als man das entdeckte, öffneten sich für die Chirurgen ungeahnte Möglichkeiten. Man konnte von da ab das Wachstum eines Menschen bestimmen. Man konnte einen Riesenwuchs aufhalten, man konnte unregelmäßig wachsende Beine steuern, man konnte ein Bein über eine gewisse Zeit ausschalten. Man konnte die Natur besiegen. Der Mediziner nennt das eine temporäre Epiphyseodese.
    Es war dem Menschen gelungen, durch einen Kunstgriff das Wachstum der Oberschenkel zu bremsen.
    Dr. Lorentzen maß die kaum sichtbare Wachstumsspalte im Beckenkamm Evelyns. Sie war haarfein und nicht mehr so ausgeprägt, wie es sonst bei Achtzehnjährigen ist.
    »Wir haben ein unverschämtes Glück!« sagte Lorentzen mit einem befreienden Aufatmen. »Das Wachstum ist fast vollendet. Es wird sich nur um zwei bis drei Millimeter handeln, die man durch Einlegesohlen in den Schuhen ausgleichen kann.« Er wandte sich zu Thorlacht, der fasziniert auf die Hände Lorentzens sah, in denen das durchsichtige Lineal lag.
    Das bleiche Licht aus dem Leuchtkasten erlosch. Dr. Thorlacht rieb sich die Augen. Dieser Lorentzen wagt ungeheuer viel, dachte er. Was große orthopädische Kliniken mit Vorsicht operieren, ist bei ihm wie eine Narbenabschleifung oder eine Hautstraffung. Was geschieht, wenn er seinen Mut überfordert? Wenn eine Operation mißlingt, weil er seine Möglichkeiten überschätzt hat? Wenn er wirklich einen Kunstfehler begeht?
    Als sie wieder allein im Chefzimmer waren, sagte Dr. Thorlacht das ganz klar.
    »Darf ich eine unverschämte Frage stellen, Chef?«
    Lorentzen nickte lächelnd. Er rauchte genußvoll eine Zigarette. Mit den Gedanken war er schon bei der Operation.
    »Sie können gar nicht unverschämt sein, Thorlacht.«
    »Warum machen Sie solche wahnsinnigen Eingriffe?«
    »Ich sehe nichts Wahnsinniges an einer Beinkorrektur.«
    »Das hat mit Schönheitschirurgie nichts mehr zu tun. Das ist große orthopädische Chirurgie.«
    »Allerdings.« Lorentzen sah Thorlacht ruhig an. »Haben Sie Angst?«
    »Aber Chef –«
    »Wenn Sie Angst haben, schicke ich Sie weg zu einem Kongreß. In Mailand findet gerade einer statt. Dann sieht es nicht so nach Flucht aus.«
    Dr. Thorlacht wurde rot wie ein geohrfeigter Schuljunge und schwieg. Er hatte keine Angst – oder doch: Er hatte Angst, daß Lorentzen einmal versagen könnte. Auch er war nur ein Mensch. Und Fehler gehören zum Menschen wie Sterne an einen Abendhimmel.
    »Wann soll die Operation sein?«
    »Morgen. Die Patientin ist fröhlich. Kreislauf, Herz, Psyche, alles in Ordnung. Warum sollen wir warten?« Lorentzen nahm ein Blatt Papier und notierte ein paar Zeilen. »Wir operieren an den Außenseiten der Oberschenkel. Die 4 Zentimeter Knochen bauen wir in zwei Hälften ein. Ebenfalls wird das Knochenmark übertragen. Um ganz sicherzugehen, setze ich um die Wachstumsspalte des gesunden Beines einige Blount-Klammern, um auch die mögliche Millimeterwachstumsrate zu steuern. Ich erwarte morgen die Klammern aus München. Dann geht es los.«
    Dr. Thorlacht nickte. Seine Kehle war trocken. Er spricht darüber, als wenn er ein Ohr anlegt, dachte er. Mein Gott, welchen Mut hat dieser Mann.

Am nächsten Tag kamen nicht nur die Klammern aus München, sondern auch die Kommission der Ärztekammer. Sie traf zwei Stunden nach der Post ein und wurde von Dicki empfangen, als im OP bereits Evelyn Heinzel in der Narkose lag und zur Operation vorbereitet war.
    »Der Chef operiert«, sagte Dicki, als sich die Herren vorstellten. »Da Sie selbst Doktors sind, wissen Sie ja, daß man da nicht stört.«
    Die Herren aus München sahen sich an und hatten den gleichen Gedanken. Etwas Besseres konnte ihnen gar nicht widerfahren: Sie hatten Gelegenheit, Lorentzen bei einer Operation über die Schulter zu gucken. Medizinische Kiebitze, die sich freuen, wenn sie einen falschen Handgriff sähen.
    »Vielleicht versuchen Sie einmal, Dr. Lorentzen ans Telefon zu bekommen«, sagte einer der Münchener Ärzte. Es klang herrisch, und Dicki überlegte sich, ob er es nötig habe, sich so anschnauzen zu lassen, oder ob es richtig

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