Treibhaus der Träume
Er erinnerte sich auch an einige Romane in den Illustrierten.
Wie benimmt man sich, wenn so ein armer Mensch im Zimmer 3 sitzt, dachte ›Dicki‹ und blieb an der Tür des leeren Zimmers stehen. Am besten, man ist kameradschaftlich. Einem Mann klopft man auf die Schulter und sagt: »Jaja, diese Autoraserei! Kein Wunder, wenn das Gesicht flötengeht …«
Bei einer Dame ist man zurückhaltender. »Alles halb so schlimm«, könnte man etwa sagen. »Ich habe da noch ganz andere Gesichter gesehen, gnädige Frau.«
›Dicki‹ schloß die Tür zu Wartezimmer Nr. 3. Keine Sorge, Adam Czschisczinski war der rechte Mann am rechten Platz.
Unterdessen hatte Joan Bridge sich wieder angezogen. Wie ein glückliches Schulmädel, das eine Eins im Gedichtaufsagen bekommen hat, saß sie neben Dr. Lorentzens Schreibtisch und sah ihm zu, wie er auf einem Block etwas skizzierte.
Eine runde, volle Brust.
»Sie können das aber gut, Doc«, sagte sie anerkennend. »Genau so sieht meine aus. Gezeichnet ist sie gar nicht so übel.«
»Nach meiner Ansicht wäre es falsch, sie zu verkleinern«, sagte Dr. Lorentzen und zeichnete weiter.
»Doc, fangen Sie nicht schon wieder an. Ich gehe ins Wasser, ich mach's wahr. Sie wissen nicht, wieviel mir Alfredo bedeutet.«
»So viel, daß Sie Narben an Ihrem schönen Körper hinnehmen?«
»Noch mehr, Doc.«
»Gut. Sehen Sie her, ich erkläre Ihnen die Operation, die ich bei Ihnen vornehmen werde.« Dr. Lorentzen zeichnete mit Rotstift die Schnitte in die gemalte Brust ein. »Es gibt verschiedene Methoden, eine große Brust zu verkleinern. Immer bleibt das Problem: Wie kann man die Brustwarze wieder an die normale Stelle bringen, wenn man das überflüssige Drüsengewebe und das Fett entfernt und die Brusthaut verkürzt hat. Es ist ja nicht damit getan, hier unter der Brustfalte aufzuschneiden und dann einfach das Zuviel wegzunehmen. Die Brustwarze säße dann unten in der Falte.«
»Um Gottes willen, Doc!« Joan Bridge machte große, ängstliche Kulleraugen. »Alles muß so sitzen wie vorher.«
»Sehen Sie. Und darum haben wir die Wahl zwischen zwei Methoden: Einmal kann ich die Warze umschneiden, aber an einem kleinen Stiel lassen und sie nach der Wegnahme des überflüssigen Drüsengewebes und der Hautstraffung wieder einsetzen; das gäbe zwei große, wie ein T aussehende Narben auf der Brust und die Rundumnähung der Warze. Oder ich trenne die Warze völlig aus, hole aus einem Brustfaltenschnitt das Gewebe heraus, schneide dann ein Fenster in die verkleinerte Brust und pflanze dann die Brustwarze samt Warzenhof frei in das Loch wieder ein. Das gibt nur zwei, bald kaum noch sichtbare Narben.«
»Phantastisch, Doc!« Joan Bridge klatschte in die Hände. »Das machen wir.«
Dr. Lorentzen legte seinen Rotstift weg. »Einen Nachteil hat diese Methode von Thorek: Sie kann die Stillfähigkeit lahmlegen. Das muß ich Ihnen sagen.«
»Aber Doc!« Joan Bridge machte einen verführerischen kecken Augenaufschlag. »Ich bin vierzig. Die nächsten zwanzig Jahre will ich leben, um zu genießen, aber nicht, um Kinder großzuziehen.« Sie tippte mit ihren grell rotlackierten, langen Nägeln auf die Zeichnung Lorentzens. »Hier, Doc … die machen wir. Wann geht's los?«
»Übermorgen. Um zehn Uhr vormittags.«
»Und wie lange dauert es, bis ich wieder unter die Menschen kann?«
»Nicht länger als eine Woche. Aber Sie sollten sich nebenan auf der Schönheitsfarm noch drei Wochen erholen, ehe Sie Alfredo wiedersehen. Dann sind die Narben auch nicht mehr so rot.«
»Sie sind ein Schatz, Doc!« Joan Bridge sprang auf. Auch Dr. Lorentzen stand auf und trat zwei Schritte zurück. Es war eine stille Abwehr, denn Joan Bridge wäre ihm sonst um den Hals gefallen und hätte ihn geküßt.
»Alles andere macht Schwester Frieda«, sagte Dr. Lorentzen und ging zur Tür. »Sie wird Sie betreuen und ist ganz für Sie da.«
Dann war Lorentzen wieder allein. Nebenan hörte er, wie sein Assistent und beide Schwestern sich unterhielten und lachten. Patient Nr. 1. Eine überspannte Amerikanerin.
War das der Sinn der Klinik?
Er erinnerte sich an die Worte des alten Patz, des Vaters von Ilse, als die Klinik eingeweiht wurde. »Sie sollen sehen, Doktor«, hatte der nüchterne und geschäftstüchtige Bauunternehmer gesagt, »Ihre Klinik wird bald ein Treibhaus der merkwürdigsten Blüten werden. Sie haben trotz Ihrer sechsundvierzig Jahre noch zu viele Ideale. Wiederherstellungschirurgie … den Menschen ein neues
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