Treibhaus der Träume
Gesicht machen … Helfer der Menschheit … Das hört sich alles gut an. Die tägliche Praxis wird anders sein: Da werden Sie Träume hinein- und Träume wegoperieren müssen. Nur die wenigsten kommen, weil sie wirklich unter ihren Mißbildungen leiden und seelisch daran zerbrechen. Bei siebzig Prozent wird es die Eitelkeit sein … wollen wir wetten?«
Und Dr. Lorentzen hatte gewettet. »In einem halben Jahr werden in meinem Wartezimmer 3 mehr Patienten sitzen als in den beiden anderen zusammen«, hatte er gesagt. »Ich komme von einer großen Klinik. Sie wissen nicht, Herr Patz, wieviel Leid es gibt, verborgen vor den Blicken der anderen.«
»Zugegeben. Diese Menschen haben aber nicht das Geld, sich in der ›Almfried-Klinik‹ restaurieren zu lassen. Was hierherkommt, sind die goldbestäubten Wesen, denen das Näschen nicht paßt oder das Öhrchen wackelt oder das Brüstchen etwas hängt.« Der alte Patz lachte laut. Trotz seiner Millionen war er der Maurer geblieben, als der er angefangen hatte. Und unter seinen Maurerkolonnen fühlte er sich am wohlsten. »Ich wette ein Faß Bier, Doktor.«
»Ich halte mit.«
»In einem halben Jahr also.«
»Ja.«
Dr. Lorentzen schreckte hoch. Das Telefon vor ihm läutete. Marianne war am Apparat – sie rief aus dem Kosmetikkeller der Schönheitsfarm an.
»Ich habe auf die Uhr geguckt«, sagte sie. »Sie müssen jetzt Ihren ersten Patienten hinter sich haben. Wie war's?«
»Gut«, sagte Lorentzen und lächelte etwas bitter. »Eine Brustverkleinerung.«
»Gratuliere, Lutz.«
»Danke, Marianne. Und wie läuft's bei Ihnen?«
»Zehn neue Frauen. Das übliche. Auch eine Schauspielerin ist dabei. Mia Holden. Will zehn Pfund abhungern und Pölsterchen auf den Hüften verlieren. Ein nervöses Hemd, diese Holden. Total durchgedreht. Ich habe sie erst einmal in die Bürstenmassage genommen, mit Kakaobutter eingerieben, und nun schläft sie wie ein Kind.«
Dr. Lorentzen nickte. Er starrte auf seine Brustzeichnung, ergriff sie dann, riß sie vom Block und zerknüllte sie.
»Wann kommen Sie essen?« fragte Marianne, als Lorentzen schwieg.
»Ich schätze, es wird dreizehn Uhr werden.«
»Dann noch viele gute Patienten.«
»Danke, Marianne.«
Man muß sich umgewöhnen, dachte Lorentzen. Man muß anders denken lernen. Erstaunt stellte er bei sich fest, daß er noch immer der Kliniker war, der Chirurg der Universitätsklinik, der Halbgott im weißen Mantel. Schönheitschirurgie … vor zwei Jahren hätte er darüber mokiert gelächelt wie alle seine Kollegen. Kosmetische Chirurgie – ist das etwas anderes als ein akademischer Friseur? Hier ein Fältchen raffen, dort ein Närbchen wegstreicheln … Spielerei für den, der täglich im OP steht und Magen resektiert, Gallen ektomiert und Mammae amputiert.
Nun hatte er selbst eine kosmetische Klinik. Zwei Etagen voller Betten warteten auf Patienten. In den Wartezimmern saßen die Menschen, die hofften, durch seine Kunst wieder froh zu werden nach langen, stillen Leiden.
War Häßlichkeit nicht auch eine Krankheit?
Ist ein Höckernase weniger problematisch als ein Gallenstein?
Sind abstehende Ohren für den, der sie hat, nicht ein ebenso großes Problem wie eine ausgetretene Herme?
Muß es immer ein Magenkrebs sein? Eine dicke Narbe quer über dem Gesicht kann einen lebensfrohen Menschen zum Einsiedler, zum Selbstmörder machen.
Helfen! Das ist die große Aufgabe. Helfen! Den Kranken und den Eingebildeten, denn auch die Einbildung ist eine Krankheit.
Dr. Lorentzen drückte auf die Klingel zum Vorzimmer. Der nächste. Patient Nummer 2.
Auf der Schönheitsfarm gab es an diesem Vormittag ein fröhliches Wiedersehen. Frau Direktor Pfannenmacher war wieder da.
Die Kosmetikerin Marion, die gerade aus dem Massagezimmer blickte, fuhr mit einem Schreckensschrei zurück, als sie den himmelblauen Sportwagen in den Garagenhof fahren sah und die donnernde Fanfare hörte, mit der Erna Pfannenmacher ihre Ankunft akustisch untermalte.
»Das darf doch nicht wahr sein!« rief Marion und fuhr sich entsetzt in die blonden Haare. Sie rannte in das Chefzimmer und lehnte sich schwer atmend an die Tür. Verwundert sah Marianne Steegert das Mädchen an.
»Was haben Sie denn, Marion? Sie sehen ja aus, als seien Sie einem Gespenst begegnet.«
»Genau das bin ich! Frau Pfannenmacher steht im Garagenhof! Das dürfen Sie uns nicht antun, Chefin! Drei Wochen wieder diese hysterische Person! Dann schon lieber sechs Wochen Mia Holden. Die ist ja noch
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