Treibhaus der Träume
zwanzig Jahren noch ein Baby. Aber dann war es doch blinder Alarm. Ob das vom Schafgarbentee kommt?«
»Nicht unbedingt.« Marianne goß noch eine Tasse ein. »Und jetzt bleiben Sie vier Wochen?«
»Ja, mein Mann ist geschäftlich noch in Ostasien. Wenn er zurückkommt, soll er nach all den vielen schlitzäugigen Gelben etwas zarthäutiges Europäisches vorfinden. – Marianne, Sie müssen mich noch mehr aufmöbeln als im vorigen Jahr! Die Wirkung merkt man erst nach zwei Monaten. Mein Mann war einfach überwältigt; ich war wie ein Vulkan.«
Marianne Steegert nickte und lächelte verstohlen. Wer Erna Pfannenmacher jetzt sah, konnte ihren Wunsch verstehen. Sie hatte wieder zehn Pfund zugenommen, und genau an den Stellen, wo Frauen am ersten ansetzen: An den Hüften und den Brüsten. Außerdem bildete sich ein Doppelkinn.
»Wir werden sehr trainieren müssen«, sagte Marianne vorbeugend.
»Ich weiß, mein Kindchen. Ich habe mich darauf eingestellt.«
Erna Pfannenmacher trank wie zum Beweis ihrer Duldungsfähigkeit die zweite Tasse Schafgarbentee mit einem Zug. »Ich werde alles tun, ohne zu klagen.«
»Großes Versprechen?«
»Ganz großes.« Frau Direktor Pfannenmacher blinzelte Marianne zu. Sie waren nun zwei Verschwörerinnen gegen den armen Ulrich, der schwitzend in Bangkok saß und Verhandlungen führte. »Nur wenige wissen, wie glücklich es eine Frau macht, wenn ihr Mann sie plötzlich wieder bemerkt und in den Arm nimmt. Für diese eine Stunde bin ich bereit, vier Wochen zu fasten, waldzulaufen, zu schwitzen, zu rollen, massiert zu werden und jede Tortur zu erleiden. Ach Kindchen!« Frau Pfannenmacher legte den Arm um Marianne. »Was so ein Mann doch für Kummer macht …«
Zum Mittagessen im großen Speisesaal wurden die Neuankömmlinge von den ›alten Hasen‹ mit hämischen Blicken beobachtet. Es gab eine Kohlrabi-Rohkost-Platte. Mit saurer Sahne, Äpfeln, Apfeldicksaft, Zitronensaft und Zwiebelpulver angemacht. Dazu tranken einige wenige, nur mit besonderer Erlaubnis Marianne Steegerts, ein Gläschen Buttermilch mit Rotrübensaft.
Frau Pfannenmacher kannte das. Sie aß, als habe man Truthahn serviert und eine rheinhessische Spätlese. Triumphierend sah sie sich um und trotzte den neugierigen Blicke der anderen.
Anders benahm sich Frau Gisela Nitze. Ihr Mann war durch eine Erfindung Millionär geworden. In einer Sternstunde der Menschheit gebar er den Gedanken, die Alltagsluft in muffigen Zimmern zu verbessern und stellte seitdem einen Luftverbesserungs-Spray her. ›Maienduft‹ nannte er ihn. Auf dem Etikett der Sprühflasche blühten Blumen und wogten schlanke weiße Birken im Wind. ›Maienduft‹ wurde ein Riesenerfolg. In Millionen Zimmern schwebte Thomas Nitzes Blumenduft gegen die Decke. In der Kasse klingelte es unaufhaltsam.
»Nun sind mer soweit«, sagte Nitze eines Tages, »daß mer eingeladen werden zum Bundespresseball nach Bonn. Ich habe de Einladung schon hundertprozentig in der Tasche. Mein Public-Relations-Büro sorgt dafür. Aber da mußte erst anders aussehen, Gisela. Los, meld dich auf so'ne Schönheitsfarm an, und da bleibste, bis de aussiehst wie die Loren oder die Liz Taylor. Die sollen in Bonn mal gucken! Weißte, was ich sage? Meine Frau, die besprüh ich jeden Tag mit meinem ›Maienduft‹. Das wird'n Ding, Gisela …«
Alles was recht ist: Thomas Nitze war ein witziger Mensch. Und nun saß seine Frau Gisela im Speisesaal der Schönheitsfarm ›Almfried‹, stocherte in der Kohlrabi-Rohkost herum und aß nur mit Widerwillen drei Bissen.
»Das gibt sich, Frau Nachbarin«, sagte eine Dame in einem großgeblümten Kleid am Nebentisch. »Nach drei Tagen essen Sie das wie Kannibalen einen Oberschenkel …«
Und der ganze Speisesaal lachte.
Eine neue Kurwoche hatte begonnen.
Dr. Lorentzen schob den Notizblock zu sich heran und blickte gespannt zur Tür. Wer kam jetzt? Noch war in ihm die Spannung vor dem neuen Schicksal, das gleich sein Zimmer betreten würde. Später legte sich das völlig. Die Routine siegte. Dann waren die Menschen nur noch Karteikarte und Krankheit. In den großen Kliniken war es Lorentzen genauso ergangen. Es war auch gar nicht anders möglich – ein Krankenhaus ist eine Fließbandorganisation, je größer, um so unpersönlicher.
Aber jetzt war das doch etwas anderes. Jetzt war in ihm die Spannung eines Arztes, der zum erstenmal am Tag in seiner eigenen Praxis sitzt und auf Patienten wartet.
Lorentzen lächelte vor sich hin. Sechsundvierzig
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