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Treibhaus der Träume

Treibhaus der Träume

Titel: Treibhaus der Träume Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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Schulrat waren und um eine neue Lehrerin gebeten hatten. Ich war so weit, mich aufzuhängen. Da las ich Ihre Anzeige in der Zeitung. Sie sind meine letzte Hoffnung.«
    Sie senkte wieder den Kopf, aber diesmal legte sie nicht mehr schamhaft die Hände vor die Augen. Dr. Lorentzen ging zu seinem Schreibtisch und holte ein Buch aus der langen Reihe der Bücher, die dort standen. Er blätterte darin herum, schlug eine Bildseite auf und kam zu Erna Mittelhardt zurück.
    »Sehen Sie, Fräulein Lehrerin«, sagte er bewußt burschikos. Ihr dankbares Lächeln sagte ihm, daß es so richtig war. »So sahen Leidensgenossinnen von Ihnen vor der Operation aus – und so nachher. Nicht einmal die Schnitte sieht man; wir legen sie unmittelbar an den unteren Lidrand, wo die Wimpern die dünnen Narben überdecken.«
    »Aber wo kommen die Tränensäcke bloß her?«
    »Oft ist es eine Vererbungssache. Die Anlage zum Tränensack ist angeboren. Hatte Ihr Vater Tränensäcke?«
    »Nein. Aber mein Großvater. Und mein Onkel auch.« Erna Mittelhardt machte große, traurige Augen. »Dann … dann kommen sie wohl später wieder? Und ich muß mich immer und immer wieder operieren lassen?«
    »Nein.« Dr. Lorentzen klappte das Buch zu. »Wir werden die Natur zwingen, an solche Erbanlagen weiterhin nicht mehr zu denken.« Er ging zum Schreibtisch zurück und machte in seinen Terminkalender eine Eintragung. Tränensack. 11 Uhr. »Übermorgen, 11 Uhr, ist Unterricht in neuer Schönheit, Fräulein Lehrerin.«
    »Herr Doktor!« Erna Mittelhardt hob beide Arme. »Wie kann ich Ihnen jemals danken?«
    »Indem Sie wieder lachen. Und das werden Sie in spätestens acht Tagen.«
    Als Erna Mittelhardt das Sprechzimmer verlassen hatte und mit Schwester Rosel zu ihrem Zimmer ging, trat Lorentzen an das große Fenster und blickte über den in der Sommersonne in hundert Farben leuchtenden Park hinüber zu den beiden langgestreckten Häusern der Schönheitsfarm. Auf der Wiese turnten einige Frauen in Bikinis und Badeanzügen. Ilse Patz leitete die Gymnastik und schlug den Rhythmus der Bewegungen mit einem Schläger auf ein Tamburin.
    »Auf und – – – niiiieder … auf und – – – niiiieeder! Und nach links … und nach rechts … Hüften ruhig halten, nur mit dem Rumpf … nicht in die Knie gehen … stehenbleiben … Und noch einmal: Auf und – – niiiieeder … und nach links … und nach rechts …«
    Das ist ein Fall, über den ich glücklich bin, dachte er zufrieden. Hier schreit die Not aus jeder Silbe. Hier ist ein Mensch am Ende seiner Nerven. Und mit dem Skalpell, mit meinen Händen kann ich ihn zurückführen in das Leben, in die Fröhlichkeit des Herzens, in die Liebe, vor der sie flüchten mußte. Mit zwei kleinen Schnitten am Lidrand. Mit ein wenig Geschicklichkeit.
    Weiß Gott, er ist doch schön, unser Beruf.
    Wir operieren auch die Seele.
    Marianne Steegert erwartete Dr. Lorentzen mit einem Glas in der Hand. Als er das kleine Zimmer hinter dem Büro betrat, in dem die beiden Mädchen bisher schnell ihr Essen hinunterwürgten, denn die dreißig schönheitsdurstigen Frauen der Farm ließen wenig Zeit für ein Ausruhen, hob Marianne den Sektkelch und prostete ihm zu.
    »Auf den ersten Tag!« rief sie.
    Dr. Lorentzen hob die Hand. »Nicht austrinken, Marianne. Wir wollen den Erfolg nicht hinunterschlucken.« Lachend kniete er sich auf den Teppich und senkte den Kopf. »Vollziehen Sie den neuen Stapellauf der reparierten Fregatte Lorentzen, wie es sein muß. Los, Marianne!«
    »Aber Lutz!« Marianne kam um den Tisch herum. »Ich kann Ihnen den Sekt doch nicht …«
    »Schütten Sie!«
    »Also denn!« Marianne stellte sich vor Lorentzen und hob das Glas über seinen Kopf. Ihre Augen leuchteten vor Freude und Glück. Er ist so ausgelassen wie ein großer Junge, dachte sie. Und er ist jünger geworden. Wirklich, alle Wehmut, alle Traurigkeit ist von ihm abgefallen. Hatte er früher nicht mehr Falten im Gesicht? Wo sind die scharfen Kerben, die sich von den Nasenflügeln bis zum Kinn zogen? Wo ist sein trauriger Blick geblieben, in den sie sich zuerst verliebt hatte, aus dem Mutterinstinkt heraus, den jede Frau in sich trägt? Damals, im Zugabteil 1. Klasse von Hamburg nach Köln, als sie hilflos auf dem Polster lag und er ihren verstauchten Knöchel mit Kognak und Zwetschgenwasser kühlte, hatte sie gefühlt, daß dieser Mann nach seiner Heimat suchte, daß er dabei war, sich zu verirren auf seiner Suche nach einem Zuhause. Jetzt kniete er vor

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