Treibhaus der Träume
war – so beteuerte Ilse mit lauter Stimme, – geschah nun: sie verfuhren sich. Statt wieder auf die Autobahn zu kommen, kamen sie weit ab und zuckelten durch das zwar herrliche, aber für einen Sportwagen völlig ungeeignete Voralpenland. Einmal hielten sie an und suchten auf der Karte, wo sie waren.
»Hier!« sagte Ilse und tippte mit ihrem roten Fingernagel auf einen Ort. »Die Richtung stimmt. Nur ein Umweg. Zur Autobahn zurück wäre eine Dummheit, also fahren wir geradewegs durchs Land nach Salzburg.« Sie schlug die Autokarte zu und sah Lorentzen kurz an. »Auch die Seitenwege haben Reize.«
Für Lorentzen war es eine qualvolle Fahrt. So schnell Ilse auf der Autobahn gerast war, so langsam zockelte sie nun durch Dörfer und Flecken, hielt ab und zu und zeigte auf Naturschönheiten, die Lorentzen gar nicht sehen wollte. Ich bin ihr ausgeliefert, dachte er, als sie einmal anhielt, Äpfel kaufte und eine Pause einlegte. Mit Haut und Haaren. Und sie nutzt es aus. Wann wird sie anfangen, sich die Jacke auszuziehen? Wann beginnt der zärtliche Teil?
Aber nichts geschah.
Sie fuhren weiter. Das Abendrot, das über die Berge stieg, war wundervoll. Die Felsspitzen glühten, der Himmel überzog sich mit Purpur, deren Ränder golden glänzten.
»Wie unbeschreiblich«, sagte Ilse und hielt wieder an. »Das müßte man malen.«
»Ich muß am Abend in Salzburg sein«, sagte Lorentzen dumpf.
»Sind wir.«
Und die Fahrt ging weiter.
Nach einer halben Stunde bockte plötzlich der Motor. Ilse stieg aus, öffnete die Motorhaube und klopfte an verschiedenen Stellen herum. Dann stieg sie wieder ein, drehte die Zündung und gab Gas im Leerlauf.
Nichts geschah. Der Motor sprang nicht an.
Noch dreimal versuchte es Ilse, dann sah sie Lorentzen hilflos an.
»Er steht, Lutz.«
»Vielleicht ist das Benzin alle?«
»Der Tank ist noch halb voll.«
»Die Batterie sauer?«
»Dann wäre kein Strom da. Aber er ist da.«
»Der Verteiler?«
»In Ordnung.«
Sie versuchte es so lange, bis die Batterie wirklich leer war. Die Dunkelheit kroch von den Bergen ins Tal. Die Felsen wurden schwarzgrau.
»Nun ist alles aus!« sagte Ilse verzweifelt. »So ein Mist! So ein Mist! Verzeihen Sie, Lutz.«
»Schicksal.« Lorentzen lehnte sich zurück und blickte in den gestreiften Abendhimmel. »Ein Frosch von Auto ist ja auch kein Rennpferd.«
»Beleidigen Sie Max nicht!« Ilse stieg aus und ordnete ihre zerzausten Haare. »Bewachen Sie Max, Lutz! Ich gehe zum nächsten Dorf und hole Hilfe.«
Nach einer Stunde kam Ilse Patz wieder. Ein starker Ochse und ein stämmiger Bauer mit einem Gamsbart folgten ihr.
»So an kloaner Woag'n muß noch wachsen, eh's a vernünftiges Vehikel wird«, sagte der Bauer und spannte seinen Ochsen vor die vordere Stoßstange. Dann schrie er »Hoi! Hoi«, gab dem Ochsen ein paar Hiebe auf den Nacken und zwei Tritte in den Hintern, es knirschte im Blech, Ilse schrie: »Langsamer! Langsamer! Der Kerl reißt mir die Stoßstange ab!«, und dann zogen sie über die abenddunkle Landstraße in ein Dorf, das aus neun Häusern, mehreren großen Misthaufen und einem Wirtshaus bestand.
Pingsheim hieß es.
Dr. Lorentzen trank zunächst ein großes Bier in einem Zug leer, während Ilse mit der Wirtsfrau verhandelte, ehe er wieder die Kraft hatte, klar zu denken. Er war wie ausgedörrt gewesen.
Salzburg ist vorbei, das war klar.
Die vorläufige Endstation war Pingsheim. Morgen früh würde aus dem näher gelegenen größeren Ort ein Mechaniker kommen und den Wagen abschleppen.
»Man muß aus der Situation immer das Beste machen«, sagte Ilse, als sie später an dem gescheuerten Tisch saßen und Knödel mit Kraut aßen. »Ich habe mich umgesehen … das Haus ist sauber. Man kann hier ruhig eine Nacht verbringen.«
»Wir sollten Marianne wenigstens anrufen«, sagte Lorentzen.
»Das wollte ich schon. Aber irgendwas ist mit der Leitung, ich komme nicht durch.«
Als sie hinauf zu den Zimmern gingen, stieg Ilse zuerst die Treppe hinauf. Lorentzen hatte Gelegenheit genug, ihren schlanken Körper in dem engen Hosenanzug zu bewundern. Was er nie geglaubt hatte, überkam ihn plötzlich: Er spürte in seinem Herzen eine süße Schwere, als er Ilse mit raubtierhafter Grazie vor sich die enge Stiege hinaufsteigen sah.
Vor einer Tür blieb sie stehen und stieß sie auf.
Ein großes Bauernzimmer. Kleine Fenster, bunte Vorhänge. Ein riesiger geschnitzter und bemalter Schrank. Ein Fleckerlteppich auf den Dielen. Ein Tisch, zwei
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