Treibhaus der Träume
einem Flüstern herab. Ganz nah an seinem Ohr waren ihre Lippen. »Wie schade, daß es hier weder einen Ameisenhaufen, noch Säulen, Höhlen oder Bienenwachs gibt. Nur mich …«
Lorentzen öffnete seine Aktentasche und holte den zusammengerollten Schlafanzug heraus. Über die Schulter reichte er ihn Ilse hin.
»Bitte, Sie können ihn ganz nehmen.«
»Oh! Sie wollen nackt schlafen?«
»Ja.«
»Dann verzichte ich auch auf die lästige Bekleidung.« Sie warf den zusammengerollten Schlafanzug in die Ecke neben das Fenster. Lorentzen trat einen Schritt zur Seite und drehte sich um. Sie stand vor ihm, den Kopf etwas schräg, mit halboffenen Lippen.
»Schlafen Sie gut, Ilse«, sagte er trocken. »Wann können wir nach Ihrer Meinung morgen weiterfahren?«
»Lutz!« Ihre Augen überschatteten sich. »Haben Sie schon mal gehört, daß eine weggestoßene Frau hassen kann?«
»Ja.«
»Hassen bis zum Wahnsinn?«
»Es soll bei hysterischen Personen vorkommen.« Lorentzen lächelte schwach. »Aber Sie sind doch nicht hysterisch, Ilse. Sie sind doch ein weltoffenes, vernünftiges und – kluges Mädchen. Gute Nacht. Ich bin Frühaufsteher. Ab sieben Uhr bin ich zur Weiterfahrt bereit.«
Er machte eine kleine Verbeugung, nahm seine Aktentasche unter den Arm und verließ das Zimmer. Mit starren Augen, aber unbeweglich sah Ilse ihm nach. Erst als die Tür zugeklappt war, kam Leben in sie. Sie rannte zum Fenster, nahm den Schlafanzug und trat gegen ihn wie gegen einen Fußball. »Du Idiot!« stammelte sie. »Du heilloser Idiot! Auch du bist nur ein Mann! Ein Mann! O verdammt, ein Mann!« Sie schleuderte den Schlafanzug ins Bett, fiel dann darüber her und vergrub ihr Gesicht in dem Stoff.
Ich rieche ihn, dachte sie wie betäubt. Ich habe ihn bei mir … ich umarme ihn … ich schmiege mich in seine Arme … er hat Besitz von mir genommen.
Sie wälzte sich auf dem Bett, zerwühlte die Kissen, und ihr Leib zuckte dabei wie unter Krämpfen …
Unten in der Gaststube spülte der Wirt noch die Gläser, als Lorentzen herunterkam.
»Ich brauche noch ein Zimmer für mich«, sagte Lorentzen unbefangen. »Meine Frau hat es gut gemeint, aber ich schnarche nachts furchtbar, und wir haben morgen noch eine lange Fahrt vor uns.«
»Dos kenn i!« Der Wirt putzte sich die nassen Hände an der Schürze ab. »Mei Oalte schimpft a imma. Gehn's auf Zimma 4, Herr Dokta … Kost nichts. Leut, die schnarchen, sind mei Freund.«
Am nächsten Morgen, schon früh um sieben, trafen sie sich in der Gaststube beim Kaffee. Sie begrüßten sich höflich. Um den Eindruck eines Ehepaares zu hinterlassen, gab Lorentzen Ilse sogar einen Kuß auf die Stirn.
»Gut geschlafen?« fragte er und goß sich Kaffee ein.
»Danke. Und selbst?«
»Vorzüglich.«
Das war alles. Stumm nahmen sie ihr Frühstück ein, bezahlten die Rechnung und gingen hinüber zum Stall, wo der kleine Sportwagen neben dem Misthaufen stand. Ilse setzte sich hinein, nachdem sie unter der Motorhaube geschraubt hatte, drehte den Anlasser, und siehe da, der Motor sprang an und brummte vergnügt.
»Ein gesunder Laut.« Dr. Lorentzen ließ sich in die Polster fallen. »Es gibt Patienten, die nur eine Nachtruhe brauchen, um dann wieder völlig arbeitsfähig zu sein. Ein kluges, aber sensibles Ding, so ein Sportwagen.«
»Sie sind ein Ekel, Lutz!« Ilse Patz schwang sich hinter das Steuer. »Aber glauben Sie nicht, daß Sie immer der Überlegene sein werden!«
Mit heulendem Motor raste Ilse durch das Dorf und über die schmale Landstraße. Sie nahm Rache. Lorentzen duckte sich wieder auf seinem Sitz und sah nicht mehr hinaus auf die vorbeifliegenden Bäume und die eng genommenen Kurven.
»Sie sind blaß!« schrie Ilse durch den Motorenlärm.
Lorentzen schwieg. Aber zum erstenmal dachte er: Sie ist ein Teufelsding, wahrhaftig. Ich werde Mühe haben, mich nicht unterkriegen zu lassen.
Es zeigte sich, daß die Autobahn nach Salzburg näher war, als Ilse es auf der Karte gezeigt hatte. Auch das war also falsch, stellte Lorentzen fest. Sie hat wirklich kein Mittel unversucht gelassen.
Schon nach einer halben Stunde erreichten sie die Auffahrt und rasten dann in einem irrsinnigen Tempo auf der linken Fahrbahn nach Süden.
An der Abfahrt Salzburg wartete tatsächlich ein großer, grauer Bentley. Der Chauffeur hockte müde, mit geröteten Augen, hinter dem Fenster und starrte auf die abfahrenden Autos. Die ganze Nacht hatte er so gesessen. Er sprang aus dem Wagen, als Ilse hinter ihm hielt
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