Treibhaus der Träume
darauf, daß Sie mich Graf von Rethberg nennen. Ulrich Graf von Rethberg. Das ist ein guter Name für Ihre Patientenkartei.«
»Aber ein falscher.«
»Ja.« Die Stimme des Mannes, der sich Graf nannte, war sympathisch und von jener warmen Weichheit, die Frauen faszinierte. »Ich gehöre zu jenen armen Menschen, deren Namen überall genannt wird, die eine Gesellschaft repräsentieren, die Vorbild sein sollen, auf die man Tag und Nacht schaut und deren Leben sich vor aller Öffentlichkeit abrollt. Man hat diplomatischen Rang, gehört einem uralten Adel an, und jeder Skandal ist tödlich. Darum habe ich Sie auf so geheimnisvolle Art rufen lassen. Meine Tochter gab mir Ihre Anzeige, die Sie in mehreren Zeitungen hatten.« Der Mann schwieg und spielte nervös mit der Gardine. Seine schlanken Finger rupften an dem hauchzarten Gewebe. »Sind Sie ein Könner in Ihrem Fach?«
»Ich wage über mich keine Werturteile abzugeben, Graf.« Dr. Lorentzen musterte von hinten den geheimnisvollen Menschen. Sichtbare Fehler hat er nicht, dachte er. Und doch muß es sich um etwas Außergewöhnliches handeln.
»Darf ich Ihnen eine Geschichte erzählen? Ich bin seit fünf Jahren Witwer. Meine Frau starb an Krebs. Ein schrecklicher Tod. Drei Jahre trauerte ich. Dann fand ich, daß ich zu jung sei, um das Leben eines Edelmannes am Stock zu führen. Ich bin gerade Fünfzig, Doktor.«
»Sie sehen wesentlich jünger aus, Graf.«
»Meine Tochter ist erwachsen und verlobt. Sie heiratet noch in diesem Jahr einen Diplomaten aus altem Hause. Es wird ein großes internationales gesellschaftliches Ereignis werden. Sollte ich hier verschimmeln? Ich tat das, was alle Männer in meiner Lage tun würden. Ich begann wieder die weibliche Schönheit anzubeten. Sie verstehen das, Doktor?«
»Voll und ganz.«
»Schönheit der Frauen hat den Nachteil, daß sie langweilig wird, wenn man sie zu oft ansieht. So schön Beethovens Neunte Sinfonie ist: tagtäglich, wochenlang können Sie sie auch nicht hören. Mit den Frauen ist es nicht anders. Man wechselt die Melodie. Vor einer Woche geschah es dann. Eine kleine Verkäuferin aus Wien, ein süßes Geschöpf, aber eben nur Zuckerguß, überwand nicht die natürliche Trennung nach einigen Wochen Zärtlichkeit. Sie … sie … sie tat etwas Schreckliches …« Der Mann, der sich Graf nannte, ließ die Gardine los. Seine Finger hatten ein Loch hineingerissen. »Sie benutzte das letzte Zusammensein, um mich für alle Zeiten zu zeichnen. Sehen Sie sich das an …«
Der Mann drehte sich mit einem Schwung herum. Nun sah Lorentzen sein ganzes Gesicht … einen schmalen Aristokratenkopf von wirklicher Schönheit … aber dort, wo die rechte Wange einmal gewesen war, hatte sich ein großer Fleck aus dicken, roten Narben und weggeätzter Haut gebildet. Durch den Narbenzug war die rechte Mundseite bereits etwas hochgezogen. Es würde noch schlimmer werden, wenn sich die Narben erst richtig festigten. Dann würde das Gesicht wie eine grinsende Fratze aussehen. Ein Teufelsantlitz.
»Säure …«, sagte Dr. Lorentzen nüchtern.
»Ja. Schwefelsäure. Sie hat mir Schwefelsäure ins Gesicht geschüttet.« Der Mann sah Lorentzen groß an. Er hatte die gleichen eisigen Augen wie seine Tochter. »Können Sie mir helfen, Doktor?«
»Das wird schwer sein, Graf«, sagte Lorentzen ehrlich.
»Aber es geht?«
»Ja … bis zu einem gewissen Grade.«
»Sie verstehen, daß niemand wissen darf, was geschehen ist. Offiziell bin ich verreist. Nach Tahiti. Wenn man erführe, daß mich meine Geliebte … Doktor, meine Karriere wäre zu Ende, die Ehe meiner Tochter käme nie zustande. Der Skandal wäre ungeheuerlich. Können Sie mein Gesicht bis Weihnachten wieder reparieren? Weihnachten soll die Hochzeit sein.«
»Es werden Narben zurückbleiben. Das ist unvermeidbar.«
»Normale Narben sind unwichtig. Ein Jagdunfall, ein Autounfall … es macht noch interessanter. Aber diese schreckliche Verstümmelung.« Er machte zwei Schritte auf Lorentzen zu. »Doktor, ich verspreche Ihnen ein Vermögen.«
»Mit Geld allein ist nichts zu machen, Graf.« Lorentzen kam näher und betrachtete die rechte Gesichtshälfte. Eine Minute lang war Schweigen zwischen ihnen. »Hier hilft nur Hoffen – und das Vertrauen auf Gott.«
»Gott?« Der Mann, der sich Graf nannte, verzog die Lippen. »Ob er hier kompetent ist?«
»Wir Ärzte stehen Gott oft näher als andere Menschen«, sagte Lorentzen leise. »Manchmal ist es, als schaute er uns über die
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