Treibhaus der Träume
er. Wozu noch die Mühe der Untersuchungen, der Kontaktgespräche, der erklärenden und beruhigenden Worte! Wer erklärt mir, warum die Welt voller Sinnlosigkeit ist? Wer beruhigt mich?
Er zwang sich, gleichgültig und doch interessiert auszusehen, als es klopfte und der Patient eintrat. Tatsächlich hatte er vier große Pflaster auf dem Gesicht, aber sie waren so dumm geklebt, medizinisch so völlig sinnlos, daß Lorentzen plötzlich wirkliches Interesse bekam.
»Bitte, setzen Sie sich«, sagte er höflich und zeigte auf einen der Ledersessel. »Wie kann ich Ihnen helfen?«
Der Mann mit den großen Pflastern sah sich ungeniert um. Dann nickte er. Unter dem Pflaster, das quer über die Nase ging, verzog sich der Mund zu einem Lächeln.
»Schön hast du's hier! Du bist wirklich eine Berühmtheit geworden.«
Dr. Lorentzen erhob sich abrupt. Seine Hand legte sich auf die versteckte Kringel an der Schreibtischkante. Ein Druck, und der I. Assistent, noch ein Druck, und Adam Czschisczinski würden hereinkommen. Ein Dauerton bedeutete Alarm. Er hatte die Klingel bisher nur bei Joan Bridge nötig gehabt, als sie sich ruckzuck vor ihm auskleidete. Hier schien ein Verrückter gekommen zu sein. Daß man im Vorzimmer so etwas nicht gleich bemerkte …
»Sie sind gefallen?« fragte Dr. Lorentzen steif. »Sie haben Hautabschürfungen? Wie alt sind die Verletzungen?«
»Meine Haut ist gesund.« Der Mann griff nach den Pflastern und zog sie mit einem Ruck eines nach dem anderen vom Gesicht. Sein Gesicht war wirklich sauber; nur wo die Pflaster gesessen hatten, hatten sich Streifen der Klebemasse gebildet. Erstaunt, dann nachdenklich, schließlich forschend sah Lorentzen den Mann an. Aus dem Grau der Erinnerung stieg etwas hoch: Ich kenne dieses Gesicht. Wo habe ich es schon gesehen?
»Na?« sagte der Mann und lächelte. »Noch nicht, Lutz? Ist ja auch lange her … hast du einen alten Freund vergessen?«
»Hans …«, sagte Lorentzen leise. Dann breitete er die Arme aus. »Mensch, Hans … du bist es! Natürlich, jetzt erkenne ich dich … Hans! Altes Haus! Wo kommst du her? Was willst du bei mir? Warum hast du die dämlichen Pflaster im Gesicht?«
»Ich komme aus Frankfurt«, sagte der Mann. Er blieb stehen und lief nicht in die ausgebreiteten Arme Dr. Lorentzens. Über sein Gesicht zuckte es voller Nervosität. »Und ich bin hier, damit du mir ein neues Gesicht machst. Ein ganz neues, ein ganz anderes. Hast … hast du nicht die Zeitungen gelesen?«
»Junge, ich habe wenig Zeit, abends noch zu lesen. Aber nun setz dich doch, Hans. Ich lasse sofort Kognak kommen. Du bist dicker geworden und breiter. Na ja, die vielen Jahre …« Dr. Lorentzen schwieg und sah den Mann fragend an. »Was hast du denn, Hans?«
»Du mußt mir helfen, Lutz.« Der Mann machte ein paar unsichere Schritte und lehnte sich an einen der Sessel. »Seit zwei Wochen bin ich auf der Flucht. Ich bin Hans Bornemann …«
»Ja, Mensch, das weiß ich doch.«
»Hans Bornemann, der Frankfurter Bankräuber … Man sucht mich auf der ganzen Welt, Lutz.« Bornemann hob beide Hände. »Du bist der einzige, der mir helfen kann: Du mußt mir ein neues Gesicht machen …«
Dr. Lorentzen starrte seinen Besucher entgeistert an. Dann schüttelte er sich, als käme er aus dem Wasser. Und tatsächlich hatte er auch das Gefühl, am ganzen Körper naß zu sein.
»Wer bist du?« fragte er tonlos.
»Du solltest wirklich mehr Zeitung lesen.« Bornemann ließ sich in einen der Ledersessel fallen und stützte den Kopf in beide Hände. »Ich war Hauptkassierer der Bank für Baukredit AG in Frankfurt. Ich habe fast zwanzig Jahre treu und bieder meinen Dienst getan. Ich bin langsam, aber stetig auf der Leiter emporgeklettert, vom Schecksortierer bis zum Hauptkassierer. Und dann klickte es in meinem Kopf. Hans, sagte eine Stimme in mir, wofür lebst du eigentlich? Du rackerst dich ab, du machst Überstunden in der Bank, du bist die Korrektheit in Person. Wofür? Du hast keine Frau, keine Kinder, kein gemütliches Häuschen, kein Gärtchen. Wenn du abends nach Hause kommst, mußt du dir das Essen aufwärmen, das die Zugehfrau mittags gekocht hat. Oder du mußt in den Wirtschaften rumsitzen. Willst du einmal einen Hauch von Liebe haben, mußt du in einen Puff gehen und erst Geld hinlegen, bevor du was anfassen darfst. Dreimal habe ich angesetzt, mir eine Frau zu suchen, zweimal haben mich die Bräute noch vor der Hochzeit betrogen, die dritte hatte mir zwei uneheliche Kinder
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