Treibhaus der Träume
ein?«
»Nein. Warum?«
»Ich dachte.«
»Du mußt mir versprechen, nicht im Haus herumzuwandern. Dein Essen wird die Stationsschwester bringen. Du bist offiziell ein Patient. Vor allem vermeide allen Kontakt mit anderen.«
»Ich bin doch kein Narr.« Bornemann ließ sich nach hinten auf das Bett sinken. »Weißt du, daß ich heute nacht zum erstenmal wieder ruhig schlafen kann?«
Lorentzen kam ein fürchterlicher Verdacht. »Wie bist du überhaupt hierhergekommen?« fragte er.
»Mit dem Zug.«
»Von Frankfurt aus?«
»Nein, von Patzenhausen.«
»Das liegt doch nur zwanzig Kilometer von St. Hubert entfernt.«
»Ja.«
»Und bis dahin?«
»Mit einem Wagen. Ein alter VW. Geklaut in Darmstadt. Er steht im Wald von Patzenhausen.«
»Das ist verdammt unvorsichtig.«
»Wieso? Sie werden, wenn sie den Wagen finden, alle denken, ich sei in Österreich. Im Salzburgischen. Eine bessere falsche Fährte gibt es gar nicht.«
»Hoffentlich.« Dr. Lorentzen ging zur Tür. »Hast du kein Gepäck bei dir?«
»Nur eine Aktentasche, Lutz.«
»Und die zwei Millionen?«
»Sie liegen bei der Gepäckaufbewahrung im Hauptbahnhof München. In einem Lederkoffer. Ich habe nur zweihundertfünfzigtausend Mark bei mir. Davon gehören zweihunderttausend dir.«
Lorentzen schwieg. Er nickte Bornemann zu, ging aus dem Zimmer und schloß die Tür. Bornemann erhob sich von seinem Bett und lauschte. Er hörte, wie sich die Schritte Lorentzens entfernten. Langsam sah er sich in dem kleinen Zimmer um; er drehte sich um sich selbst und machte dann zwei lange Schritte zum Fenster.
Vor ihm lag das weite Tal von St. Hubert. Die Berge stießen in den Himmel. Es war ein Blick über eine schöne, weite Welt, und er kam sich vor wie ein Löwe, der durch die Gitter seines Käfigs die Savanne sieht und die Freiheit riecht und mit dem Kopf jaulend gegen die Eisenstäbe rennt.
Da warf er sich zurück auf das Bett, legte die Hände übers Gesicht und zwang sich, nicht zu heulen.
Ich will leben, sagte er sich vor. Ich will einmal, einmal leben. Was dann kommt, ist mir völlig egal.
Am Abend kam Adam Czschisczinski in das Zimmer, auf dessen Tür ›Vorratskammer‹ stand. Die Neugier trieb ihn, und außerdem hatte er als Hausmeister das Recht, Vorratskammern zu betreten. Sie gehörten zu seinem Revier. Was ihn verwirrte, war die Belegung dieses Zimmers mit einem Patienten, wo doch noch Zimmer auf allen Etagen frei waren oder in den nächsten Tagen frei wurden. Erst heute waren zwei Zimmer geräumt worden.
Dicki hatte sich umgehört. Die Schwester Ellen von der 4. Etage sagte, der neue Patient habe kein Gepäck mitgebracht, nur eine Aktentasche. Die Stenotypistin vom Vorzimmer des Chefs berichtete, der Neue habe ausgesehen wie einer, der kein Geld habe. Seine Hose sei ohne Bügelfalte gewesen.
Dicki war zufrieden. Patienten ohne Bügelfalte sind in der Klinik selten. Aber sie haben den Vorteil, daß man sich mit ihnen frei weg unterhalten kann und daß sie nicht so hochgestochen sind wie die Reichen, die in einem Hausmeister so etwas wie eine Küchenschabe sehen.
So klopfte Adam auch nur kurz an und trat ein. Bornemann lag auf dem Bett und starrte an die Decke. Er rührte sich nicht, als er den gedrungenen, breitschultrigen Mann in der weißen Uniform im Türrahmen stehen sah. Er wartete ab.
»Guten Abend«, sagte Dicki höflich. »Ich bin der Hausmeister der Klinik. Wenn Sie etwas brauchen … nur mich rufen. Ich besorge Ihnen alles, Sie verstehen?« Er blinzelte dem stummen Mann im Bett mit dem Pflaster über der Nase zu. »Man kann übrigens von einem bestimmten Fenster aus seltene Naturschönheiten sehen.«
»Lassen Sie mich in Ruhe!« sagte Bornemann grob.
Dicki zuckte zusammen. Er hatte ein zartes Gemüt. Beleidigt musterte er den Mann auf dem Bett und machte einen Schritt ins Zimmer. Bornemann zog die Beine an.
»Was wollen Sie hier?« fragte er scharf.
»Als Hausmeister …«
»Raus!«
Dicki zog die Schultern hoch. Sein Kopf wurde dadurch halslos. »Die Hausordnung verlangt, daß ich frage, ob alles in Ordnung ist.«
»Alles!« Bornemann ballte die Fäuste. »Das Bett ist bezogen, der Wasserhahn ist dicht, der Nachttopf steht unterm Bett. Und jetzt raus!«
Adam Czschisczinski wölbte die Unterlippe vor. Das haben wir gern, dachte er. Kaum was zahlen und dann frech werden.
»Sie sind Kassenpatient, nicht wahr?« fragte er. »Ein Jammer, wie schlecht die Kassen bezahlen. Was sind Sie von Beruf?«
Bornemann antwortete nicht. Er
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