Treibland

gefährlich. Jetzt wusste jeder, der das Fax gesehen hatte, Deutsch lesen konnte und sich für Simone Bender interessierte, was Danowski wusste.
    Mit Kathrin Lorsch verband er den abgestandenen Geruch in ihrem Atelier, Öl, ungelüftet, die Couchlandschaft im Wohnzimmer. Hatte sie nicht auch die ganze Nacht an dem Bild von den zwei Kindern gearbeitet? Niemand, mit dem er es hier zu tun hatte, schlief genug, alle waren erschöpft. Kein Wunder, dass Carsten Lorsch sich nach einer einsamen Insel gesehnt hatte. Inchkeith, in einem eisblauen Sund, darauf nur der Leuchtturm und die Destillerie. Destillerie und die Stille. Welches Geräusch machte Alkohol, der sich verflüchtigte? Welches Geräusch machte das Virus bei seiner Arbeit?
    Lose Enden, dachte er, um sich zu disziplinieren. Wer sind die Kinder auf Kathrin Lorschs Bild? Was für eine Information hatte Kristina Ehlers ihm noch geben wollen, bevor das Virus ihren Geist verschluckte? Und was war dieser zweite Geruch aus seiner Erinnerung, den er nicht festhalten konnte?
    Torf, Feuerholz, Pinienzapfen, Seetang, kaltes Meerwasser, Wollpullover. Ein Geruch, der Gefühle und Erinnerungen verschaffte, die vielleicht nicht einmal die eigenen waren. Wie hatte er es für sich genannt, als er diesen Whisky bei Kathrin Lorsch gerochen hatte? Heimweh nach einer großen Liebe, die man nie gekannt hatte. Und wo war ihm dieser Geruch zum zweiten Mal begegnet?
    Dann klingelte sein Telefon, und wie zum Beweis, dass die Welt ihn nicht vergessen hatte oder sich zumindest dafür interessierte, wo er war, ging das Deckenlicht wieder an. Entfernt vom Gang und aus benachbarten Kabinen klang ironischer Applaus.
    «Morgen komm ich dich besuchen.» Finzi, ohne Begrüßung.
    «Ja, mach mal. Langsam wird’s mir hier unheimlich.»
    «Hab schon gehört, dass du ziemlich ramponiert ausgesehen hast, als Schelzig dich besucht hat.»
    «Ja, und das war nicht alles.»
    «Heißt was?»
    «Ich werde hier insgesamt ziemlich schlecht behandelt.»
    «Hm. Das hör ich natürlich gar nicht gern. Kleiner Kerl wie du.» Fast schoss Danowski was in die Augen. Er riss sich zusammen und sagte: «Und bei dir so?»
    «Wie immer. Kürzlich hab ich gedacht, ich werde verfolgt.»
    «Von Autos, die alle in die gleiche Richtung fahren wie du? Oder von den Omis auf dem Weg in die Kantine?»
    «Okay. Berichte ich mal in Ruhe. Und Schelzig hat mir ein paar ganz interessante Sachen über die PSP harm erzählt. Und ich war auf dem Golfplatz. Wir können ja morgen mal Kassensturz machen. Ich will deinen Akku nicht killen.»
    «Wieso Golfplatz?»
    «Du hast erzählt, dass Lorsch Golfsachen in der Kabine hatte. Ich hab rausgefunden, wo er gespielt hat.»
    «Hast du die Witwe gefragt?»
    «Nee, rumtelefoniert. Die Witwe ist dabei, die Zelte abzubrechen. Soweit ich das sehe, kommt sogar das Haus auf den Markt. Als wollte sie alles loswerden, was sie an ihren Mann erinnert. Jedenfalls redet sie nicht mit mir, und solange Habernis sie nicht vorladen lässt, können wir gar nichts machen.»
    «Und wie war’s auf dem Golfplatz?»
    «Nicht mein Sport.»
    «Sag mal im Ernst. Was hast du dir davon versprochen?»
    «Das würde ich dir gern ganz in Ruhe erzählen, aber in ein, zwei Sätzen klingt das irre. Jedenfalls habe ich eine Person gefunden, die einiges erklären kann. Nicht alles, aber einiges. Was macht dein Akku?»
    «Scheiße. Kannst du mir morgen ein Ladegerät reinschmuggeln? Meinetwegen in der Unterhose?»
    «Ich habe immer ein Ladegerät in der Unterhose.»
    «Okay. Meine Schuld. Steilvorlage.»
    «Wann denn?»
    «Ich hab eigentlich keine Pläne. Vormittags ist hier meist Verteilungskampf.»
    «Um die Liegestühle?»
    «Nee, Finzi. Um Wasser und Essen.»
    «Meine Güte. Ist ja schlimmer als Pauschalurlaub. Dann bis morgen Nachmittag. 14  Uhr. Wir treffen uns an der Rezeption, da, wo sie mich letzte Woche weggeschickt haben.»
    Letzte Woche. Mein Utopia, dachte Danowski. Was wäre passiert, wenn ich an dem Morgen einfach weggegangen wäre und das Schiff nie betreten hätte? Klein bisschen Ärger von der Chefin. Aber ich hätte jetzt Feierabend und würde auf dem Sofa Töchter kitzeln und mich mit Leslie streiten. Letzte Woche hätte ich das retten können. Diese Woche steht es auf dem Spiel.
    «Adam», sagte Finzi.
    «Ja.»
    «Die Ehlers. Das wollte ich noch sagen. Die ist tot.»
    Er schwieg. Oh. Okay. «Das ging schnell», sagte er, um Tonlosigkeit bemüht.
    «Ja», sagte Finzi. «Sie hatte wohl nicht viel zuzusetzen,