Treibland
Existenz dieser Nachricht eine Auswirkung auf die Pläne ihrer Auftraggeber haben könnte. Besser, das beim nächsten Anruf zur Sprache zu bringen. Jetzt musste sie sich entspannen, sich innerlich leer machen und ganz nebenbei automatisch, aber gewissenhaft die verschiedenen Teile ihres Arbeitsmaterials auf dem Weg zurück ins Hotel entsorgen, in mindestens einem Dutzend verschiedener Mülleimer, öffentlichen und privaten. Dann ein leichtes Abendessen auf dem Zimmer, ein Glas Wein, und dann würde sie sich erlauben, darüber zu spekulieren, dass die Nachricht vom Telefon des großen Polizisten möglicherweise ein oder zwei Anschlussengagements bedeuten würde: sich um «wolka jordanova» zu kümmern und um «Adam privat».
36 . Kapitel
Als es wieder an seiner Kabinentür klopfte, erlaubte Danowski sich ein müdes Augenrollen. Er hatte gedöst.
«Ist ja wie im Taubenschlag hier!», rief er heiser, um sich selbst zu unterhalten und um zu signalisieren, dass er bis hierhin relativ unbeeindruckt war von den Einschüchterungsversuchen. Er richtete sich auf und stellte begeistert fest, dass es Luft und Strom gab. Blinzelnd stolperte er im Licht aus dem offenen Badezimmer Richtung Tür. Aufmachen oder nicht? Bevor er das entscheiden konnte, sah er zu seinen Füßen ein zusammengefaltetes Blatt Papier, das jemand unter der Tür durchgeschoben hatte.
Er hob es auf und las.
«Kommen Sie um Mitternacht zum Hintereingang vom Reeperbahn-Theater. Hinter dem Alster-Café. Fragen Sie da, ob Sie einen Kaffee bekommen können. Dann machen wir Ihnen auf. Wir möchten Ihnen helfen. Ein paar Freunde.»
Danowski schüttelte sachte den Kopf. Die Anweisungen waren verwirrend und in der ungeübten Handschrift einer jungen Frau verfasst, die offenbar meist am Computer schrieb. Anscheinend eine Muttersprachlerin, aber der leicht gestelzte Tonfall hatte auch was potenziell Gefälschtes: «Ein paar Freunde»? Treffen um Mitternacht wie auf Burg Schreckenstein? Sollte das ein Witz sein, eine Falle, oder war das rührend unbedarft? Das Papier von der Reederei. Danowski sah auf die Uhr. Okay, und außerdem war es kurz nach zwölf, Mitternacht vorbei.
Und genau dadurch, dachte er, ergibt das Ganze dann vielleicht doch noch Sinn. Warum schreibt jemand «um Mitternacht» und überbringt die Nachricht dann erst, wenn der Zeitpunkt schon verstrichen ist? Dusseligkeit?
Seiner Erfahrung nach war Dusseligkeit zwar die schlüssigste Erklärung für etwa zwei Drittel aller auf den ersten Blick undurchschaubaren menschlichen Verhaltensweisen. In diesem Fall aber war er bereit, sein körperliches Wohlbefinden aufs verbleibende Drittel zu verwetten. Vermutlich war, wer auch immer ihm den Brief durchgeschoben hatte, gestört worden und hatte dann gewartet, bis er sicher sein konnte, dass Danowskis Kabinentür unbeobachtet war. Und das hatte dann eben bis nach zwölf gedauert.
Er legte den Brief auf seinen Nachttisch und sah sich um. Er steckte sich das leere Holster innen an den Gürtel, gewissermaßen als Glücksbringer, und nahm in einem Nachgedanken noch seine leeren Telefone mit, weil ihm der Gedanke widerstrebte, sie ungeschützt hier liegenzulassen. Dann lieber nutzlos mitschleppen. Das einzig Sinnvolle in seinen Taschen war der Tactical Pen, den Schelzig ihm hatte zukommen lassen: damit würde er sich diesmal wehren, und zwar beim kleinsten Anlass.
Der Gang war leer.
Was mache ich hier?, dachte Danowski, als er durchs spärlich beleuchtete Schiff Richtung «Alster-Café» lief und so gut wie niemandem begegnete, und wenn, dann wandten sich die Entgegenkommenden ab. Eine Verhaltensweise, die sich in der zweiten Woche als Teil der ungeschriebenen Quarantäne-Etikette entwickelt hatte: Man saß so lange und so nah aufeinander, dass man sich nur noch in überschaubaren Gruppen aufhielt und sich von jenen abwandte, die man nicht kannte. Seit wann hatte er in so einer Welt «ein paar Freunde»?
Andererseits, und das war genau der Punkt: Es war sicherer, in Bewegung zu bleiben, als in seiner Kabine zu hocken. Schwieriger, ein bewegliches Ziel zu treffen als ein unbewegliches.
Im «Alster-Café» brannte nur noch die Notbeleuchtung, hellbraun und indirekt. Daraus, dass in den cremefarbenen Polstermöbeln und auf den Teppichen hier und da Gestalten in Schlafsäcken lagen, schloss Danowski, dass auf dem einen oder anderen Deck wieder die Belüftung ausgefallen war. Vorsichtig fand er seinen Weg zur Bar. Beim Näherkommen sah er dahinter eine im
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