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Treibland

Treibland

Titel: Treibland Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Till Raether
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allgemeine Richtung blickte –, «und das hier ist Katja.» Die Frau in der grünen Perücke hatte einen unverbindlichen und leicht irritierten Gesichtsausdruck, als verstünde sie von allen hier am wenigsten Deutsch. Danowski bot ihnen der Reihe nach die Hand an. Sobald er sie ausstreckte, wurde ihm klar, wie sehr diese Geste hier an Bord als unerhörtes Zeichen des Vertrauens galt. Weil ein Handschlag so demonstrativ war und einen Körperteil betraf, der ständig alle möglichen Oberflächen berührte, wurde er hier zwischen Fremden vermutlich weniger praktiziert als Sex.
    Alle vier griffen nach kurzem Zögern zu.
    «Ich wundere mich ehrlich gesagt, Sie hier zu sehen», sagte Danowski zu Francis, der ihn unverwandt ansah, sodass Danowski fortfuhr: «Ich dachte, alle Afrikaner sind irgendwo isoliert worden.» Seine Augen fingen an, sich an die Dunkelheit zu gewöhnen. Es entstand eine Pause, die jemand anders als unangenehm empfunden hätte und die Danowski am Ende vernichtend fand. «Nicht, dass ich das befürworte», fügte er hastig hinzu. «Im Gegenteil. Nichts, was hier an Bord passiert ist, hat irgendwas mit Afrikanern oder einer anderen Menschengruppe zu tun. Außer jener, die ich im weitesten Sinne als Kriminelle bezeichnen würde. Und nicht einmal da bin ich mir ganz sicher. Menschen tun Dinge selten, weil sie zu einer bestimmten Gruppe gehören, das sieht immer nur von außen so aus, wenn man zu einer anderen Gruppe gehört. Jedenfalls aus kriminologischer Sicht. Im Grunde gehe ich von so etwas wie einer geplanten Affekttat aus, aber diesen Begriff werden Sie in der Fachliteratur lange …»
    «Ich bin kein Afrikaner», sagte Francis, dem Tonfall nach zu urteilen nicht zum ersten Mal in seinem Leben. «Ich komme aus Fulda.» Tatsächlich hörte man das, sobald man nicht mehr auf Afrika gepolt war.
    «Das tut mir leid», sagte Danowski und wusste selbst nicht genau, ob sich dies, gespeist durch die natürliche Arroganz des geborenen Westberliners, auf eine Heimatstadt Fulda bezog, oder auf das von ihm ausgesprochene protorassistische Vorurteil.
    «Dafür können Sie ja nichts», sagte Francis. «Und was die Afrikaner angeht: dass hier dutzendweise Leute isoliert werden, ist ein Gerücht. Entweder von selbst entstanden, oder die Reederei hat es gestreut. Um den Eindruck zu erwecken, dass sie hier überhaupt irgendwas tun.»
    «Aber ein paar Isolierte gibt es schon. Zum Beispiel das Zimmermädchen, das für die Kabine Ihres Toten zuständig war. Mary. Die kommt aber aus Jamaika», sagte Sonja.
    Danowski nickte. «Mit der würde ich auch gern mal sprechen.» Er verstand noch nicht, was die Animateure von ihm wollten, aber er sah, dass es ihnen wichtig war, obwohl es nicht unmittelbar mit ihnen selbst zu tun hatte. Es schien ihnen um ein Prinzip zu gehen, um Gerechtigkeit oder Menschlichkeit. So unterschieden sie sich von den anderen Gruppen, mit denen er hier an Bord Kontakt gehabt hatte. Die Kissenbezugköpfe hatten in ihrer Körpersprache und in der Art, wie sie ihn angefasst hatten, etwas Beleidigtes und gleichzeitig Aufgeregtes gehabt, alles hatte schnell gehen müssen. Es gab da etwas, das man «nicht auf sich sitzen lassen» konnte, etwas, das man sich «nicht gefallen lassen» durfte, aber Danowski kannte das. So was sagte sich leicht und schnell und wieder und wieder, aber dann verlor man immer mehr von seinem Enthusiasmus, je mehr man dann doch vorbereiten musste: den, von dem man sich nichts gefallen lassen wollte, beobachten, um seine Gewohnheiten zu studieren, einen Plan machen und schließlich so etwas enervierend Dämliches wie Löcher in Kissenbezüge schneiden. Und am Ende war man nicht hundertprozentig bei der Sache, im Grunde war sie einem schon fast peinlich, während man sie durchzog, und dann bewegte man sich hektisch, unkonzentriert und überkompensierend zugleich. Er hatte im Laufe seines Berufslebens in Dutzenden, vielleicht Hunderten von Delikten ermittelt, die aus dieser Seelenlage heraus verübt worden waren.
    Er sah, dass seine vier neuen Bekannten ihm mit einem Ernst gegenüberstanden, der mühelos ihre leuchtenden Polyesterperücken überstrahlte. Er sah, wie viel Überwindung es sie gekostet hatte, hier mit ihm zu stehen. Und ihm wurde klar, was sie nicht nur von den Kissenbezugköpfen, sondern erst recht von den Quetschern aus seiner Kabine unterschied. Die Quetscher waren mühelos und lässig gewesen, sie hatten sich bewegt, als wäre es ihnen egal, ob sie ihn unter Druck

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