Treibland
indirekten Barlicht von unten angestrahlte Gestalt mit überdimensionaler blauer Afro-Frisur. Ein junger Kerl, höchstens Anfang zwanzig, mit ernstem Gesicht, vertieft in die Betrachtung von etwas, das Danowski nicht erkennen konnte.
Danowski lehnte sich an die Bar und sagte: «Kann ich einen Kaffee kriegen?»
«Nein», sagte der Junge mit der Afro-Perücke. Danowski sah, dass vor ihm ein weiteres Bild von Simone Bender aus dem Photoshop lag. «Kaffee ist aus. Aber kennen Sie das hier?»
Danowski betrachtete das Bild. Simone Bender in einem dunkelgrünen Abendkleid, offenbar vor der Tür zu einem der beiden großen Restaurants an Bord, am Arm einen weiteren jungen Mann in Afro-Perücke, diese in leuchtendem Gelb, und der Mann dunkelhäutig, mit einem allumfassenden Lächeln.
«Ich weiß, wer die Frau ist», sagte Danowski. «Aber das Bild habe ich übersehen, falls es auch in der Fotogalerie hing.»
«Kommen Sie mal mit», sagte der Junge hinter der Bar. Danowski folgte ihm aus dem Halbdunkel des «Alster-Cafés» ins Halbdunkel des Flurs. Im Gehen nahm er seinen Stift aus der Brusttasche und umfasste ihn so mit der Faust, dass oben und unten eins der beiden zugespitzten Stahlenden hervorschaute. Eine Waffe, die schwierig zu handhaben, unter Umständen aber sehr effektiv war.
Sein Begleiter blieb am Hintereingang des «Reeperbahn-Theaters» stehen und klopfte mit einem offenbar verabredeten Signal gegen die Doppeltür: kurz-kurz-lang, lang-kurz-kurz. Danowski seufzte, steckte den Stift wieder weg und entspannte seine Hand. Nur Amateure vereinbarten Klopfzeichen, Fachleute hielten sich nicht mit derlei Kindereien auf. Und dass Amateure ihn hier aufwendig herbestellten, um ihn dann auf ihrem eigenen Terrain rundzumachen, hielt er für mehr als unwahrscheinlich. Amateure zogen sich Kopfkissenbezüge über und warfen einen humorlos die Treppe runter.
Die Doppeltür ging auf, und als er sah, wer oder was da auf ihn wartete, hätte Danowski noch einmal geseufzt, wenn er diese Kommentarfunktion nicht eben bereits verwendet hätte: drei weitere junge Menschen mit Afro-Perücken und in dunklen Crew-Uniformen, zwei Frauen und der Schwarze in der hellgelben Afro-Perücke vom Foto mit Simone Bender. Der Junge mit der blauen Afro-Perücke schaute sich um, und weil niemand zu sehen war, winkte er Danowski, ihm zu folgen. Gemeinsam betraten sie einen schmucklosen Vorraum hinter der Doppeltür, ebenso halbdunkel wie alles andere mit Ausnahme der Perücken, und dann schob eine der beiden Frauen (grüne Afro-Perücke) ihn in einen kleinen Raum. Eine Künstlergarderobe, die nach Plastik, Schweiß und Puder roch und in der er die Frau in der roten Perücke wiedererkannte: Sie hatte gedolmetscht, als er das erste und das letzte Mal an Bord gekommen war. Sonja Vespucci vom «Animation Team», fünf kleine Flaggen für all die Sprachen, die sie konnte. Für ihn und die vier Animateure war es eng in der kleinen Garderobe, aber an diese Ausgangssituation war er inzwischen gewöhnt.
«Ich hätte nicht gedacht, dass ich in meinem Alter noch mal neue Freunde finde», sagte Danowski. «Aber wenn, dann hätte ich mir die irgendwie anders vorgestellt. Älter und ohne Perücken.»
«Wir kommen quasi direkt aus der Vorstellung», sagte Sonja Vespucci. «Und Sie werden noch sehen, wozu die Perücken gut sind.»
«Ja, eine gute Frage gleich vorweg. Ich war ja noch nie bei einer Ihrer Aufführungen. Irgendwie ist mir nicht so danach, animiert zu werden. Aber wozu die Perücken? Ist das so eine Art internationales Symbol für Frohsinn und Witzigkeit?»
Die vier Animateure warfen einander den einen oder anderen Blick zu, wobei der Tenor zu sein schien: Ist das wirklich der Typ, dem wir helfen wollen? Danowski sah, dass Sonja hier die Chefin war, sie führte das Wort und hatte offenbar den Plan gefasst, mit ihm Kontakt aufzunehmen, denn die anderen schauten immer erst mal zu ihr. Außer dem Schwarzen in der gelben Perücke, der eher zu Boden sah und Danowski nur einmal prüfend und leicht enttäuscht musterte. Er war so etwas wie das Kraftzentrum der Gruppe, die Energiequelle für den Motor Vespucci. Die Danowskis Frage im Übrigen ignorierte, was dann wieder für sie sprach.
«Wir kennen uns ja bereits», sagte sie. «Das hier ist Maik» – der Blauhaarige aus der Bar nickte ihm abwartend zu –, «das ist Francis» – der Schwarze sah auf, aber im Halbdunkel konnte Danowski nicht einmal erkennen, ob er ihn anschaute oder nur in seine
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