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Treibland

Treibland

Titel: Treibland Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Till Raether
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das schlecht. Vielleicht findet sie jemand, und dann sind die Animateure … Es ist schwer zu erklären.»
    «Um Gottes willen, hier», sagte sie ungeduldig und reichte ihm einen transparenten Plastikbeutel, in dem sie die Perücke versiegelte, um sie mit von Bord zu nehmen. «Ich bringe Sie zur Screening-Station», sagte Schelzig aus ihrem zischenden Keksdosen-Lautsprecher. «Die Isolationscontainer, die wir hinter dem Terminal aufgebaut haben. Sie erinnern sich, Sie waren ja in der Sitzung dabei, als ich das angeregt habe.»
    «Als wäre es gestern gewesen», sagte Danowski, der nicht genau verstand, wovon sie sprach, außer, dass es tatsächlich bedeutete: Sie nahm ihn mit von Bord. Wie lange er dann in irgendeinem Container saß, war ihm im Augenblick völlig egal. Er lachte.
    «Medizinisch gibt es keine Rechtfertigung dafür», sagte Schelzig, während sie ihn mit ungeduldigem Handwedeln zum Gehen nötigte. «Ich habe Sie als dringenden Verdachtsfall eingestuft, um Sie außerhalb des Schiffes untersuchen und möglicherweise isolieren zu können. Es gäbe sonst keine Möglichkeit, miteinander zu sprechen, ohne dass uns jemand zuhören könnte.»
    «Sie hätten vom Institutstelefon auf Ihr Handy ausweichen können», sagte Danowski und staunte, wie sein Widerspruchsgeist oder seine Besserwisserei über sein eigenes Interesse siegte. Warum in Frage stellen, dass sie ihn von Bord holte?
    «Es wäre Ihnen technisch möglich gewesen, unser Telefonat aufzuzeichnen. Daran ist mir nicht gelegen. Sie werden sehen, dass ich mich selbst belasten muss.»
    «Da bin ich gespannt», sagte Danowski, folgte ihr eifrig und amüsierte sich darüber, dass sie so sprach, als kennte sie sich auch noch mit Strafrecht aus. Seine Vorfreude darauf, wieder Land unter den Füßen zu haben, war noch deutlich größer als sein Interesse an der Enthüllung der Newcastle-Connection.
     
    Sie nahmen die dunkle Treppe hinunter zum Deck sechs, und er bewunderte aus dem Augenwinkel, was für ein seltsames Paar sie abgaben in den schummerigen Wandspiegeln: eine aufgeblasene Astronautin und ein Tiefkühlpizzabäcker auf dem Weg zur Frühschicht. Niemand kam ihnen entgegen, aber auf dem Gang zur Rezeption und zur Tenderpforte hin wurde es heller, und Danowski ahnte die Menschen. Jetzt noch aufgehalten werden, das wäre ärgerlich, dachte er mit forciertem Understatement, um sich dann gleich innerlich zu korrigieren: Es wäre existenzvernichtend.
    Bevor sie den Kordon der Bundespolizei an der Gangway erreichten, mussten sie durch die mit Absperrbändern improvisierte Kontrolle der Reederei und Crew, das inoffizielle Nadelöhr, das Danowski auf diesem Weg am meisten beunruhigte. Der Rotäugige? Irgendjemand anders von den Quetschern? An seiner Körpersprache merkte er, dass er Angst hatte. Er hatte die Schultern hochgezogen und blickte starr auf den Boden, um niemandes Blick zu treffen. So, wie wenn einem kalt war, man spannte alles an und atmete flach, und im Grunde wurde einem erst wärmer, wenn man sich wieder normal bewegte. Er ließ die Schultern sinken und hob den Blick. Unter dem halben Dutzend rauchender Passagiere war kein bekanntes Gesicht und kein bedrohliches bei den beiden Offizieren, die mit müden Augen an der Rezeption lehnten. Jetzt wandten sie sich ab, als hätten sie ihrerseits Angst, Danowskis Blick zu treffen. Sie weichen vor mir zurück, wurde ihm klar, als die Perspektive sich zu ändern schien. Sie denken, ich wäre krank, für sie bin ich jetzt schon ein Sterbender, obwohl ich nur zur Untersuchung geholt werde.
    Umso besser, dachte er. Mich seht ihr nie wieder. Schelzig hielt ein paar laminierte Unterlagen hoch, dann waren sie durch. Mehr brauchte es nicht, man musste nur unter dem Verdacht stehen, todkrank zu sein. Und dann spürte er die Gangway unter seinen Füßen, und durch die Plastikfenster der Seitenplane tanzte die verwischte Silhouette der Stadt im Rhythmus seiner Schritte.
     
    Als hätten Außerirdische ihn entführt. Sie zogen ihn in gleißendem Licht aus und setzten ihn auf Metall. Sie desinfizierten ihn, sie beobachteten ihn, sie ließen ihn warten. Schleusen schlossen und öffneten sich. Wer war Schelzig, wenn alle die gleichen Anzüge trugen und niemand etwas sagte? Und wo war Hamburg, wenn der Container keine Fenster hatte?
    Müde bin ich jetzt, dachte er mit allem Wohlbehagen, das man empfinden konnte, wenn man mit dem nackten Hintern auf Edelstahl saß. Wieder die Schleuse, dann war er allein mit Schelzig.

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