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Treibland

Treibland

Titel: Treibland Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Till Raether
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über die Zentrale einschalten kann?» Was wusste er über ihre Telefonanlage. Aber es klang gut. Und was wusste sie darüber?
    «Eine Stunde. Länger kann ich nicht wegbleiben», sagte sie schließlich.
    «Dann sage ich Ihnen jetzt, wo Sie mich finden.»
    «Ich kenne Ihre Kabinennummer.»
    «Und Sie tun auch so, als würden Sie die Kabine ansteuern. Lassen Sie sich nicht von jemandem begleiten. Wenn man Ihnen eine Besatzungseskorte aufzwingen will, sagen Sie, dass ich mich aus medizinischen Gründen am frühen Abend an Sie gewendet habe und dass Sie erst jetzt dazu kommen, mich zu besuchen. Sagen Sie, dass Sie erhöhtes Ansteckungsrisiko vermuten. Dann wird Sie niemand begleiten. Und dann gehen Sie nicht zu meiner Kabine.»
    Nachdem er ihr beschrieben hatte, wo er sich versteckte, beendete er das Gespräch und ließ das Telefon sinken. Es war drei Uhr nachts, die Stunde, in der die Geister schliefen und die Depressiven und Erschöpften wachten.
    Dachte er.
    Und schlief auf seinem Lager ein, wie jemand mit einem Schwindelanfall hintenüberkippt.

40 . Kapitel
    Simone Benders Gehirn kannte keine Bilder mehr und keine Vergleiche. Kein «als ob», kein «so wie». Jedes ihrer wenigen Gefühle hatte seine eigene eindimensionale Realität. Alles, was noch war, war, was es war. Und was es war, war nicht viel.
    Es war eine Dunkelheit und ein Schweben mit zu wenig Luft.
    Wenn jemand kam, dann stand er zu weit weg.
    Wenn jemand sprach, dann viel zu leise. In Lauten, die sie nie zuvor gehört hatte.
    Alles, was schlecht war, erfüllte sie. Aber was alles schlecht war, wusste sie nicht mehr. Alles, was ihr Gehirn noch kannte, war am Ende vielleicht ein einziger Name.
    Luis, dachte sie. Luis. Aber ob dies der Name ihres Sohnes war oder nur ein lautloses inneres Geräusch, ein letztes dunkles Aufblitzen – wie hätte sie auf die Idee kommen sollen, sich diese Frage überhaupt zu stellen, ausgefüllt, wie sie war, von allem, was schlecht war?
    Luis, und dann endlose Variationen von Nichts.

41 . Kapitel
    Es war wie ein Rätsel: Niemand wusste, wo er war, außer einer Person, und die war nicht er selber.
    Wo bin ich?, dachte Danowski noch einmal.
    Ihm schien, als würde es noch dunkler, sobald er die Augen öffnete. Er hob die Hand, spürte die Lacknasen an der Metallwand und richtete sich langsam auf.
    Es klopfte wieder an die schmale Tür, deren Umriss er undeutlich und mit einem Hauch von Rosa erkennen konnte, wo Licht von außen sie in die Wand seines Verschlags zeichnete. Das Klopfen war leise, aber dringend. Auf dem Telefon war es halb vier, fast zwei Stunden vor Sonnenaufgang, wahrscheinlich dämmerte es schon. Er hatte das Gefühl, jetzt weniger geschlafen zu haben als zuvor, bevor er weggedämmert war; als wäre die knappe halbe Stunde, die er hier gelegen hatte, eine Art negativer Schlaf, der seiner Müdigkeit zugeschlagen wurde.
    «Wer da?», sagte er mit übertriebenem Bühnenflüstern, um seine Stimme auszuprobieren. Kaum benutzbar.
    «Machen Sie auf.» Tülin Schelzig klang wie aus dem Radio. Er runzelte die Stirn, öffnete die schmale Tür und wich zurück. Sie trug einen gelben Schutzanzug mit roten Handschuhen, mit Luft gefüllt, sodass er rund und elastisch um ihren Körper war. Ihr Gesicht war für ihn unsichtbar hinter der Schutzscheibe, er sah in dieser Scheibe nur eine schräg verzerrte Reflexion von Hafenkränen, die aus dem Nebel stakten. Ein kleiner Lautsprecher war unterhalb des Mundes angebracht, im Wind hörte er das sanfte Sirren ihrer Sauerstoffpumpe.
    «Sie haben aufgerüstet», sagte Danowski leicht vorwurfsvoll.
    «Verschärfte Bestimmungen», erklärte Schelzig. «Wir haben eine Reihe von Verdachtsfällen hier an Bord. Fieber, Gliederschmerzen, so was. Könnte aber natürlich auch nur die Frühjahrsgrippe sein. Hier, ziehen Sie das an.»
    «Wollen Sie nicht reinkommen?»
    «Und mich irgendwo aufschlitzen? Nein danke.»
    Sie reichte ihm einfache Schutzkleidung, die er über seine Uniform zog, ohne so recht zu verstehen weshalb.
    «Die Perücke lassen Sie bitte hier», sagte Schelzig.
    «Die mögen Sie nicht?»
    «Ihre Kleidung können Sie anbehalten, die kann ich Ihnen sogar desinfizieren. Aber Sie müssen eine Schutzhaube über die Haare ziehen, die passt nicht über die Perücke.»
    Danowski wurde von Hoffnung gebeutelt. Als er die Schutzhaube entgegennahm, zitterten seine Finger, aber er wagte nicht zu fragen.
    «Die Perücke können Sie mir nicht desinfizieren? Wenn ich sie hierlasse, wäre

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