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Treibland

Treibland

Titel: Treibland Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Till Raether
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mit Finzi ist. Du bist verdruckst.»
    Eine von diesen Pausen, mit denen die Leute ihn quälten. «Finzi hatte einen Rückfall», sagte Behling schließlich.
    Danowski schloss die Augen. «Scheiße», sagte er.
    «Ja, Scheiße», sagte Behling, als wäre es irgendwie Danowskis Schuld.
    «Einen schlimmen? Mittel? Wie vor zwei Jahren?», fragte Danowski mit gleichen Teilen von Hoffnung und Resignation.
    «Ganz großes Ding», sagte Behling schließlich. «Mussten ihn reanimieren.» Und endlich, am Ende dann doch wieder fast der Alte, mit makabrer Freude am Detail: «Lag im Keller in seiner Kotze. Keiner weiß so genau, wie lange. Über fünf Promille.»
    Danowski schüttelte den Kopf. «Im Keller. O Mann.»
    «Er liegt im Koma», sagte Behling. «Und diesmal sieht’s nicht gut aus.» Danowski ließ das Telefon sinken und beendete das Gespräch. Es gab nichts mehr zu sagen. Und nichts an diesem Moment, was er mit Behling teilen wollte.
    Wolka Jordanova? Er prüfte, wann Finzi ihm diese Nachricht geschickt hatte. Dann wählte er noch mal Behling.
    «Warst plötzlich weg.»
    «Ja, ging mir auch so. Finzi hat mir eine Nachricht geschickt, die ich nicht verstehe. Muss in etwa gewesen sein, als er schon besoffen war oder kurz davor.»
    «Okay. Tragisch. Ich will jetzt mal bei Habernis die ganzen Schriftstücke für die Anfragen in England klarmachen.»
    «Wolka Jordanova. Klingt Slowakisch oder Bulgarisch.»
    «Hab schon immer geahnt, dass du Ostblock-Fachmann bist, Adam. So als alter Hauptstädter.»
    «Mach mir doch einfach eine Abfrage, Knud. Kannst du das noch? Ich würde da einfach gern mal anrufen und erfahren, wer das ist und was sie mit Finzi zu tun hat.»
    «Adam?» Jetzt fast freundschaftlich. «Wahrscheinlich irgendeine Nutte, mit der er gesoffen hat. Echt. Sei nicht enttäuscht.»
     
    Die Quetscher lösten sich wieder aus der Menge. Einer postierte sich an der Treppe und lehnte am goldenen Geländer. Ein anderer saß im Fenster, er hatte eines der Kissen von der Fensterbank genommen, unter denen «No pillow fights!» stand, und hielt es sich auf den Schoß wie jemand, der es beim Fernsehen gemütlich haben möchte. Und der dritte lief vor der Rezeption auf und ab, als wartete er auf jemanden. Danowski wusste, was das bedeutete: Sie waren zu acht, sie konnten rotieren, aber er war allein. Und ja, wahrscheinlich hatten sie recht, er würde hier nicht ewig stehen können. Er würde irgendwann auf die Toilette müssen. Was trinken. Was essen. Oder, bei seinem aktuellen Status, im Stehen einschlafen und umfallen. Solange er hier stand mit seiner Tüte und seinen beiden Telefonen, in Sichtweite der Bundespolizisten und unauffällig für die anderen Passagiere, die das Foyer kreuzten, konnten sie nichts unternehmen: Ihn jetzt einfach zu packen und fortzuschleifen, hätte viel zu viel Unruhe verursacht und möglicherweise sogar dazu geführt, dass Leute sich auf seine Seite schlugen.
    Und sie haben ja recht, dachte Danowski. Die Zeit arbeitet für sie. Fünfeinhalb Tage bis zum Ende der Quarantäne – so lange werde ich hier nicht stehen können.
    Er stützte sich aufs äußerste Ende der Rezeption. Das Personal dahinter war getauscht worden, und die Neuen taten, als nähmen sie ihn nicht wahr. Wahrscheinlich, weil sie merkten, wie unnormal die Situation war. Danowski schloss die Augen und dachte: nur einen ganz kleinen Moment Augenpflege. Oh, so ist es schön. Noch einen Moment länger. Und dann merkte er, dass die Rezeption sich absenken ließ in eine ziemlich bequeme Schräge, sodass er angenehm daran angelehnt nach unten glitt, wo wie am Fuße eines Podests Finzi mit einem Käseigel stand und Leslie mit seinen Anziehsachen, die sich ein bisschen ärgerte, weil er spät dran war. Das stimmte, und es tat ihm leid.
    Weil er merkte, wie sein Kopf nach hinten fiel, riss er die Augen wieder auf. Die drei Quetscher waren unauffällig, aber deutlich näher gekommen. Sobald sie sahen, dass er die Augen geöffnet hatte, nahmen sie langsam und scheinbar ziellos wieder ihre ursprünglichen Plätze ein.
    Ich darf nicht einschlafen, dachte er. Von allen Dingen, die ich nicht darf, ist Einschlafen das, was ich am wenigsten darf. Außerdem muss ich auf die Toilette. Aber in Wahrheit muss ich gar nicht. Es ist eine Illusion. Ich habe kaum etwas getrunken. Außer anderthalb Litern Wasser in der Screening-Station. War ich danach auf der Toilette? Wie viel Liter fasste eigentlich eine Blase? Einen, anderthalb? Nicht auf der Toilette

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