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Treibland

Treibland

Titel: Treibland Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Till Raether
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Aber weil sie keinen Grund hatte, irgendwo auf Trost zu hoffen, ließ sie sich von ihm am Arm nehmen und zurückführen in das Versteck. Wo seine Finger sie durch den Stoff der Uniformjacke drückten, schmerzte ihr Fleisch, als wollte es sich von ihr verabschieden.

7 . Kapitel
    «Und dann habt ihr euch im Durchgangsraum alle drei nackt ausgezogen und euch gegenseitig sanft und zärtlich desinfiziert, und dabei ergab ein Wort das andere, Blicke wurden getauscht, und nach kurzer Zeit habt ihr euch auf dem Boden gewälzt und euch das Geschenk bedingungsloser körperlicher Liebe gemacht, weil im Angesicht des Todes nur die menschliche Nähe zählt, keine gesellschaftlichen Konventionen», sagte Finzi, als wollte er jeden Verdacht zerstreuen, Danowskis verdächtig knappe Schilderung der Vorgänge an Bord könnte ihn irgendwie beunruhigt haben.
    «Genau», sagte Danowski einsilbig, indem er die erste so gut wie verschluckte.
    «Und bist du jetzt ansteckend? Muss ich mir Sorgen machen?», fragte Finzi.
    «Bisher weiß doch keiner, was das überhaupt ist. Die Frau vom Tropeninstitut organisiert den Abtransport der Leiche. Die haben irgendwelche Schleusen aufgebaut und sind da mit Raumanzügen reingegangen wie Astronauten. Erst wenn sie das Blut des Toten untersucht haben, erfahren wir irgendwas. Das dauert. Und sie macht für uns Fotos in seiner Kabine. Und jetzt gehe ich ans Steuer», sagte Danowski, weil er dann nicht über hundert andere Dinge nachdenken musste. Zum Beispiel darüber, ob er sich mit etwas angesteckt hatte, dessen Namen er noch nicht einmal kannte. Außerdem fuhr Finzi wie ein Idiot.
    «Polizeiaufgabengesetz», schnaufte Finzi, während er sich in den durchgesessenen Beifahrersitz fallen ließ. «Dass man sich so was anhören muss. Als ob das Polizeiaufgabengesetz nicht genauso für die Kollegen von der Schutzpolizei gilt.»
    «Stell dich nicht so an», sagte Danowski, der genauso sauer wie Finzi war, dass am Ende sie die Frau des Toten verständigen mussten. «Und heute redest du.»
    «Wieso das denn? Ich dachte, ich bin unfähig, mich an den Standardtext zu halten? Ich dachte, ich fang an zu fragen, ob wir stören, und bevor ich sage, dass wir schlechte Nachrichten haben, erzähle ich, dass wir im Stau gestanden haben und überhaupt, das Wetter, und ich dachte, dabei gucke ich so traurig, dass die Leute hysterisch werden? Hm? Deine Worte?»
    «Ich hab Kopfschmerzen, und ich habe vorhin eine wirklich unangenehme Situation erlebt.»
    «Ich frage mich, warum du überhaupt dabei bist.»
    «Weil ich nicht im Mannschaftswagen zurück ins Präsidium fahren will, und weil wir danach Kaffeepause im Park machen.»
     
    Westlich vom Jenischpark hatten die Straßen romantische Namen, fand Danowski: Ligusterweg, Elchweg, Am Internationalen Seegerichtshof. Viele große Einfamilienhäuser aus den dreißiger Jahren, in denen heute nur noch Reste von Familien lebten. Das Haus des Toten lag in einer Sackgasse. Hecken, Kieswege, alte Bäume und hohe Autos dämpften die Geräusche von Vögeln und Rasenmähern. Danowski fuhr den BMW halb auf den Gehweg, weil die Straße zu eng zum Parken war. Sie stiegen aus und rückten ihre Hosen und Jacken zurecht, damit sie wenigstens die Illusion hatten, man würde ihre Waffen am Gürtel erst auf den zweiten Blick sehen. Der Geruch von geschnittenem Gras schwamm auf der warmen Mailuft.
    Der verrostete Rasenmäher im Schuppen hinter ihrem Haus am Rande von Westberlin, und wie seine beiden älteren Brüder es immer geschafft hatten, dass er an der Reihe war, wenn ihrem Vater einfiel, dass der Rasen gemäht werden musste. Wie sie von der Beerdigung ihrer Mutter gekommen waren, sein Vater den grünen R 16 vor dem Haus geparkt und mit einem besiegten Blick auf den Vorgarten gesagt hatte: «Der Rasen muss auch mal wieder gemäht werden.» Und wie seine Brüder gesagt hatten, fast gleichzeitig: «Adam ist dran.» Seine Brüder hießen Karl und Friedrich, nach Marx und Engels. Danach Adam: weil er der jüngste und alles andere als der erste war. Humor der späten Sechziger. Und wie dankbar er sich gefühlt hatte, als er allein war mit dem Rasenmäher, mit dem hochtourigen Brüllen des Benzinmotors, und damit, dass er jeden Hubbel und jeden Stein kannte im Gras ums Haus seiner Eltern. Und wie er geweint hatte, überzeugt, dass keiner ihn hörte beim Mähen und dass ihm keiner zusah. Und dann, beim Wenden, sein Vater im Fenster im ersten Stock, und einen Moment dieser Ausdruck in seinem Gesicht,

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