Treibland
reinkommen», sagte Finzi. Sie schwenkte den Blick in seine Richtung, ohne ihn ganz zu treffen, und sagte: «Vielleicht.» Dann verschwand sie im Haus. Finzi nahm die letzte Treppenstufe und hinderte die Eingangstür am Zufallen. Danowski dachte: Es ist nicht verboten, auf eine Todesnachricht seltsam zu reagieren, man könnte jetzt also auch gehen. Dann dachte er an seine Kopfschmerzen und daran, dass Kathrin Lorsch womöglich Tabletten im Badezimmerschrank hatte. Im Grunde fragte er bei jeder Zeugenbefragung, bei jeder erkennungsdienstlichen Maßnahme und bei jeder Angehörigenverständigung, ob er die Toilette benutzen durfte. Die Kombination Polizei und menschliche Bedürfnisse war so überraschend und überzeugend zugleich, dass ihn bisher niemals jemand abgewiesen hatte. Man erfuhr immer irgendetwas Interessantes beim Toilettenbesuch in einer fremden Wohnung: Hygienestandards, finanzielle Ausstattung, Medikamentengebrauch und andere Dinge, die einem halfen, sich ein besseres Bild von den Leuten zu machen. Vor allem, wenn man sich, nachdem man gefragt hatte, verlegen lächelnd in der Tür irrte und so auch noch einen Blick ins Schlafzimmer warf.
Danowski folgte Finzi in den Eingangsbereich des Hauses, der betont karg gehalten war. Es roch auf wohlhabende Weise ungelüftet: muffig, aber unverwahrlost, wie ein kostbarer Morgenmantel, den man zu waschen vergessen hat. Die Garderobe verbarg sich offenbar hinter einer Milchglasschiebetür in der Farbe der weiß verputzten Wände. Der Fußboden war aus dunklem Stäbchenparkett und zog sich in die drei oder vier angrenzenden Räume, deren Türen halb offen standen. Katrin Lorsch ging ins Wohnzimmer, wo sie auf die hellbeige Sitzlandschaft zeigte. Die Polizisten verstanden es als Aufforderung, sich zu setzen. Finzi lehnte sich nach hinten, breitete die Arme auf der Rückenlehne aus und schnaufte. Danowski hielt sich vorsichtig in der Nähe der Sofakante. Die Fenster gingen zur Veranda und hinter das Haus hinaus. Der Garten dort war das Gegenteil dessen, was sie auf dem Weg zur Haustür durchquert hatten: mit hohen Gräsern, Büschen und Bäumen so eng bewachsen, dass man meinte, nur Grün zu sehen.
«Dann reden wir über den Tod», sagte Kathrin Lorsch und blickte suchend auf dem Couchtisch aus klarem Glas umher. Dann ließ sie mit einer hellgrauen Fernbedienung transparente Rollos vor den Verandafenstern herab, die das Licht dämpften, aber den Raum nicht verdunkelten.
«Spät geworden letzte Nacht», sagte sie leise. «Und jetzt erzählen Sie mir, was mit meinem Mann ist. Wann kann ich ihn sehen?»
Die Polizisten sahen einander an. Danowski merkte, dass Finzi merkte, wie er zögerte. «Das möchten Sie lieber nicht», sagte Finzi.
Danowski hob abwehrend die Hand, als gäbe es hier ein Missverständnis, an dem sie alle beteiligt waren und das er nun aufklären musste. «Ihr Mann ist auf der Kreuzfahrt durch die Britischen Inseln an Bord der ‹ MS Große Freiheit› in sehr kurzer Zeit sehr krank geworden. Wir wissen im Moment nicht, an welcher Krankheit er gestorben ist. Wir wissen nur, dass der Bordarzt vergeblich versucht hat, ihn zu behandeln. Im Moment wird sein Leichnam …» – Danowski zögerte für den Bruchteil einer Sekunde, unfähig, darüber hinwegzugehen, dass es besser gewesen wäre, einfach nur «er» zu sagen – «… ins Bernhard-Nocht-Institut gebracht, für weitere Untersuchungen.»
«Ins Tropeninstitut?», fragte Kathrin Lorsch und runzelte die Stirn. Danowski dachte, dass nur Leute das Tropeninstitut kannten, die Geld genug hatten, um aufwendige Reisen zu machen, gegen die man sich dort impfen lassen musste. Er nickte.
«Das begreife ich nicht.»
Finzi hob in einer melancholischen Willkommen-im-Club-Geste die Hände nach außen und sagte: «Die Ärzte dort kennen sich besser mit nicht so bekannten Krankheiten aus als unsere Kollegen von der Rechtsmedizin in Eppendorf. Außerdem muss ich sagen, dass möglicherweise die Gefahr einer Ansteckung bestand oder immer noch besteht. Das wissen wir noch nicht. Aber deshalb ist die Sache mit dem Sehen schwierig. Allerdings würden Sie uns sehr helfen, wenn Sie Ihren Mann schnell identifizieren. Deshalb wollen uns die Leute vom Tropeninstitut Bilder schicken. Vielleicht kann ich Ihnen die jetzt gleich auf dem Telefon zeigen. Falls Sie dazu bereit sind.»
«Ich werde nie bereiter dafür sein», sagte Kathrin Lorsch tonlos. Danowski fragte sich, ob jetzt der richtige Augenblick wäre, um nach
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