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Treibland

Treibland

Titel: Treibland Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Till Raether
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in der Hand einen Kaffeebecher. Müde, aber nicht ausgebrannt; erschöpft, weil sie sich mit irgendwas verausgabt hatte. Er sah, dass sie irgendwas vollbracht oder geleistet hatte letzte Nacht. Sie trug einen knielangen weißen Frotteebademantel und war barfuß, die Zehennägel unlackiert. Danowski ertappte sich dabei, dass er auf ihre Unterschenkel schaute, bevor er ihr in die Augen blickte. Finzi würde darauf bestehen, gewonnen zu haben, obwohl sie gar nicht gewettet hatten und Danowski das auch alles gar nicht interessierte. Was ihn interessierte, war, dass die Witwe keine Schuhe trug. Zum ersten Mal musste er einen Menschen, der keine Schuhe trug, darüber informieren, dass ein naher Angehöriger gestorben war. Sofort war der ganze Ablauf im Eimer. Danowski wusste, wie schutzlos man sich fühlte, wenn man barfuß war: Er erinnerte sich, wie nackt er sich gefühlt hatte, als er vor dem MRT die Schuhe ausziehen musste. Aber was sollten sie sagen? «Würden Sie sich bitte etwas an die Füße ziehen, wir haben eine schlechte Nachricht für Sie»?
    «Ja, bitte?», sagte die Frau mit der gleichen belegten Stimme, die sie aus der Gegensprechanlage kannten.
    «Guten Morgen», sagte Finzi. «Sind Sie Kathrin Lorsch?»
    Sie musterte ihn, als suchte sie nach einer überraschenden Antwort. Danowski sah, dass das, was er für einen gewissen düsteren Zug in ihrem Gesicht gehalten war, tatsächlich graue Farbe war: Als hätte sie sich die Augen und die Stirn gerieben und vergessen, sich vorher Farbe von den Händen zu waschen. Sie nickte.
    «Wir sind vom Landeskriminalamt. Mein Name ist Finzel, dies ist mein Kollege, Hauptkommissar Danowski. Dürfen wir reinkommen?» Finzi war bereits den entscheidenden Schritt vorangegangen, sodass er jetzt mit einem Fuß auf der dreistufigen Treppe zum Hauseingang stand: unmöglich, sie jetzt noch zurückzuweisen.
    «Selbstverständlich nicht», sagte Kathrin Lorsch und nahm einen Schluck aus ihrem Kaffeebecher.
    «Es geht auch ganz schnell», sagte Finzi, als ob das irgendeinen Unterschied machen würde.
    Sie schüttelte den Kopf. «Keine Ahnung, worum es jetzt schon wieder geht. Aber ganz ehrlich: Steuerprüfung, Zollfahndung und jetzt Sie, und das alles in einem Jahr oder so, da kriegt man langsam Übung. Und ich weiß: nicht ohne Anwalt. Und nicht ohne Schriftstücke. Mein Mann ist verreist, und ich habe zu tun. Und ich sehe keine Schriftstücke.»
    «Wollen Sie noch mal unsere Ausweise?», fragte Danowski, weil ihm nichts anderes einfiel. Sie ignorierte ihn, als hätte er sie gefragt, ob sie seine «Star Wars»-Tauschkarten anschauen wollte. Nachher muss ich welche besorgen, erinnerte sich Danowski, auf dem Heimweg vom Präsidium, da gab es am S-Bahnhof einen Kiosk, der immer was für die Polizei zurückhielt. Danowski bemerkte, wie er wieder Kopfschmerzen bekam. Manchmal waren zwei Welten zu viel für ihn.
    «Gute Frau», sagte Finzi, der der einzige Polizist war, den Danowski kannte, der zu Frauen über dreißig «gute Frau» sagte, wenn seiner Ansicht nach leichte Strenge geboten war, «für das, was wir Ihnen mitteilen möchten, brauchen wir keine Schriftstücke und Sie keinen Anwalt.»
    «Müssen», verbesserte Danowski und lehnte sich an das zierliche Edelstahlgeländer, «mitteilen müssen.» Kathrin Lorsch sah ihn an, als wäre er eben erst hinter Finzis Rücken aufgetaucht.
    «Okay», sagte sie mit aufsteigender Betonung, als wären sie dabei, sich gemeinsam ein Rätsel auszudenken, «dann brauchen Sie dafür aber auch keinen Zutritt zu meinem Haus.»
    Finzi sah ihn fragend an. Danowski gab sich einen Ruck, wobei ihm ein schmirgelnder Schmerz durch den Kopf ging, und sagte dann flach: «Wir müssen Ihnen eine traurige Mitteilung machen. Ihr Mann hat sich an Bord eines Kreuzfahrtschiffes eine schwere Krankheit zugezogen und ist in der letzten Nacht gestorben.»
    Kathrin Lorsch kniff die Augen zusammen und runzelte die Stirn, zwei- oder dreimal, in langsamem Wechsel. Nach Danowskis Erfahrung gab es zwei Reaktionen auf eine Todesnachricht: entweder furchtbare Überraschung oder ein seltsames, schicksalhaftes Erkennen von etwas, das man insgeheim schon immer gewusst und schon immer erwartet hatte. Kathrin Lorsch schien sich nicht sicher zu sein, in welche Kategorie ihre Reaktion fiel, bis sie sich räusperte und knapp oberhalb der Hörbarkeit sagte: «Schade.»
    Die Polizisten warfen sich einen Blick zu. «Schade» war relativ ungewöhnlich. «Vielleicht dürfen wir jetzt doch

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